Rez.: Inga Siegfried-Schupp, Von Angst und Not bis Zumpernaul. Siedlungsnamen im Kanton Zürich.

Inga Siegfried-Schupp, Von Angst und Not bis Zumpernaul. Siedlungsnamen im Kanton Zürich. Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, Bd. 91 (188. Neujahrsblatt), Zürich: Chronos Verlag 2024, 240 S. – ISBN: 978-3-0340-1750-3, Preis: CHF/EUR 48,00.

Rezensiert von Barbara Aehnlich

Das digitale Portal der Schweizerischen Ortsnamenforschung – ortsnamen.ch – bietet gesammeltes Wissen zu rezenten und abgegangenen Siedlungsnamen der Schweizer Kantone. Auch für den Kanton Zürich sind zahlreiche Informationen zur etymologischen Herkunft häufiger Namenbestandteile der fast 3.700 erfassten Ortsnamen abrufbar. Die dortigen Datensätze basieren auf dem Projekt „Die Siedlungsnamen des Kantons Zürich (TopZH)“, das 2016 begonnen und 2022 abgeschlossen wurde. Die beteiligten Wissenschaftler:innen Martin Hannes Graf, Inga Siegfried-Schupp, Mirjam Kilchmann und Stefan Würth erarbeiteten in diesem Rahmen wissenschaftlich fundierte Erklärungen für die Siedlungsnamen des Kantons Zürich. Projektziel war also die „toponomastische Aufarbeitung der Siedlungsnamen des Kantons Zürich mit historischer Dokumentation und sprachwissenschaftlicher (d. h. historisch-philologischer) Deutung der Namen.“1

Die Veröffentlichung der Namenartikel auf der Plattform hat mehrere Vorteile, auf die bereits Gerhard Rampl in seiner Besprechung von ortsnamen.ch hinwies: Das Spektrum reicht von einer sehr zeitnahen Publizierbarkeit auch kleinerer Mengen fertiggestellter Namenartikel und deren niedrigschwelliger Erreichbarkeit über die freie Zugänglichkeit der Daten im Sinne von open research data bis hin zu einer kuratierten Bibliografie der Schweizer Orts­ namenforschung.2

Der großformatige Band von Inga Siegfried-Schupp kann dieser umfassenden Darstellung im Internet also kaum Neues hinzufügen, fasst die wesentlichen Grundzüge und eine riesige Anzahl an Namen(deutungen) aber komprimiert zusammen. Auf 240 Seiten werden die Zürcher Siedlungsnamen nach Motivationsgruppen geordnet dargestellt und für alle Interessierten verständlich erklärt. Diese Erklärungen stellen einen Balanceakt zwischen der Vermittlung siedlungs-, kultur- und sprachhistorischen Wissens an Laien auf der einen Seite und wissenschaftlichem Anspruch auf der anderen Seite dar.

Der Band startet mit einem Geleitwort des Staatsarchivars Beat Gnädinger  (S. 7–8) und einem Vorwort der Präsidentin der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, Bettina Schöller (S. 9–10). „Eine kurze Einführung in die Welt der Namen und in die Geschichte der Zürcher Namenforschung“ gibt Martin Hannes Graf vom Schweizerischen Idiotikon (S. 13–19). Er führt kurz in die Fragestellungen ein, die das Buch beantworten möchte (S. 15), und betont die Bedeutsamkeit einer seriösen namenlexikografischen Darstellung, die auf folgenden Bestandteilen beruhen sollte: die verbindliche Namenform, die traditionelle (mundartliche) Namenform, Koordinaten zur Lokalisierung, eine Einordnung in die politische Struktur, eine Beschreibung der Örtlichkeit, historische Nennungen (chronologisch geordnet), fundierte sprachwissenschaftliche Analyse, Fachliteratur (S. 16). Dass sich all diese Angaben zu den knapp 3.700 Namen nicht im vorliegenden Band finden lassen, ist klar. Tiefergehende Informationen zu den einzelnen Namen, Orten und Namenlandschaften können Interessierte jedoch jederzeit über ortsnamen.ch abrufen.

Einen kurzen Wegweiser durch das Buch bieten S. 21–23. Es gliedert sich in zwölf Hauptkapitel, die jeweils die Namenlandschaft eines Bezirks umfassen und nach diesen alphabetisch geordnet sind. Demzufolge wird mit dem Bezirk Affoltern begonnen und mit Zürich geendet. Anschauliche Kapitelüberschriften verdeutlichen Hauptmerkmale und beispielhafte Benennungsmotive der Namen in einem Bezirk, so etwa „Von römischen Landgütern und frohen Füchsen – der Bezirk Bülach“, „Von alten Mauern, Katzen und einer Dreiecksbeziehung – der Bezirk Dielsdorf“, „Von Burgen, Auen und der Kohlenbrennerei – der Bezirk Pfäffikon“ oder „Von Stadt und Land, Weiden und Bartgeiern – der Bezirk Winterthur“.

Die verschiedenen Namen innerhalb der einzelnen Bezirke, die zunächst immer knapp vorgestellt werden, sind nach Motivationsgruppen gegliedert. So finden sich stets folgende Benennungsmotive:

Besitzende, Bewohnende und Bebauende: Dies sind Namen, die beispielsweise „die Ansiedlung einer Gruppe mit einer verwandtschaftlichen oder rechtlichen Beziehung zur im Erstglied genannten Person anzeigen“ (S. 95), wie  etwa Grüningen (S. 95) oder Bebikon (S. 96). Häufig steckt im Zweitglied der Ortsnamen das Element –inghofen, mit welchem Siedlungen bezeichnet wurden, „die in Verbindung zu einer Person und den ihr zugehörigen Leuten standen“ (S. 96). Hierher gehören die im Kanton zahlreich vorkommenden Siedlungsnamen auf –ikon wie Binzikon, Edikon oder Ottikon. Nur scheinbar auf den Stammesnamen der Friesen weist Friesenberg hin – dieser Bildung liegt der Personennamen Frieso zugrunde.

Landschaft und Lage: Die hier zugehörigen Namen wurden aufgrund ihrer Lage an Gewässern, auf Bergen, in Tälern usw. vergeben. So verweisen der Geländename In der Klinge (S. 72) auf eine Schlucht und Namen wie Sonnental, Sonnenberg oder Sunnenberg (S. 177) auf eine sonnige Lage der Orte.

Boden und Wasservorkommen: Bodenarten wie die Tonerde (schweizerdeutsch Lätt ‘fette Tonerde, Mergel, Lehm’) finden sich in den Siedlungsnamen Letten (S. 59), Lettenmoos (S. 106) und Lettenberg (S. 194). Auf die Farbe des Bodens bezieht sich beispielsweise der Name Rotflue – hier handelt es sich um rötliches Gestein (S. 75). Der Name Grüze verweist hingegen auf eine „sandige, trockene Stelle in einem Acker, wo die Gewächse bei heissem Wetter mager werden oder absterben“ (S. 194).

Erschließung und Nutzung: Bei der Benennung von Siedlungen spielte oft auch die Art der Nutzbarmachung des Landes eine Rolle. So zeugen viele Namen von früheren Waldrodungen, wie Radhof, Rütihof, Fürstgrüt und Schwandegg (S. 47), ebenso Aarüti, Grüt und Stocki (S. 58). Aber auch die Form der Bodennutzung kann thematisiert werden wie bei Aegerten und Aegertli als Bezeichnungen für Brachland (S. 129).

Erbautes und Umzäuntes: In diesen Motivationsbereich gehören Namen, die auf Gebäude, Zäune und Wegmarkierungen hinweisen. Auf ein ganz spezielles Gebäude verweist zum Beispiel der Name Hütten, der sich auf frühere Sennhütten, also Alpkäsereien bezieht (S. 129). Im jüngeren Siedlungsnamen Chotten steckt das schweizerdeutsche Wort Chotte, Chotten ‘Pferch, bretterner Verschlag für das Vieh; scherzhaft auch kleines, armseliges Haus’ (S. 129). Die Siedlungen Ober- und Unterwagenburg liegen bei der Wagenburg (1263 de Wagenberc). Dieser Name bezieht sich nicht auf eine Wagenburg, wie man vielleicht vermuten könnte, sondern ihm liegt mittelhochdeutsch Wâc, Wâge ‘bewegtes, wogendes Wasser; Strömung, Woge, Strom’ zugrunde – das Benennungsmotiv ist die Lage der Burg „beim wogenden Wasser“ (S. 60).

Recht und Gewohnheit: Zahlreichen Siedlungsnamen liegen Grundstücksmaße zugrunde, zum Beispiel Hub oder Juchen. Eine Hube umfasst so viel Nutzungsfläche, dass sie für den Unterhalt einer Bauernfamilie ausreichend ist (S. 61). Die alte Maßeinheit Joch, Jeuch bezeichnet die Fläche, „die von einem Joch Ochsen (Zweiergespann) an einem Tag gepflügt werden kann.“ (S. 61) Auf rechtliches Sonderland verweist etwa der Name Saland, der ‘zinsfreies herrschaftliches Land’ bezeichnet (S. 167). Der Name Zehntenfrei deutet an, dass für das Flurstück kein Zehnt gezahlt werden musste (S. 202).

Pflanzen: Der frühere Bewuchs des Kantons Zürich spiegelt sich in den zahlreichen Orten, deren Namen beispielsweise auf Bäume wie Esche, Buche, Linde, Weide oder Nussbaum zurückgehen – so stellt sich Aesch zur Esche und Lindenbüel bezeichnet einen mit Linden bewachsenen Hügel (S. 91). Auch Nutzpflanzen schlagen sich in Siedlungsnamen nieder. So gehen die Namen Fällanden und Hirslanden auf Hirsefelder zurück und Lesirain zeugt von einer zeitweise mit Linsen bewachsenen Flur (S. 184).

Tiere: Wild- und Haustiere werden ebenfalls in den Siedlungsnamen des Kantons thematisiert. Zum Teil ist dies anhand der heutigen Namenformen nur schwer erkennbar, wie etwa beim Namen Hakab (1257 Habechekke), der auf das Vorkommen des Habichts verweist. Auf den Bartgeier, der bis zum 19. Jahrhundert auch im Alpenraum ansässig war, weist der Name Girenbad hin (S. 205). Der Hase steckt unter anderem in den Namen Hasenacker und Hasenhalden und frühere Ziegenweiden waren wohl in Geissbüel, Geisshalden und Geissen zu finden (S. 152).

Mehrdeutiges und Rätselhaftes: In allen untersuchten Bezirken des Kantons Zürich finden sich Namen, deren Herkunft nicht sicher geklärt werden kann. In diesem Fall werden verschiedene mögliche Benennungsmotive vorgestellt und abgewogen, so etwa beim Dübendorfer Quartierteil Gumpisbüel, dessen Bestimmungswort mehrdeutig ist. Ob ein alter Personenname oder aber ein schweizerdeutsches Wort für das Sauerkraut zugrunde liegt, kann nicht entschieden werden.

Grundlegende Informationen zu Namen aus allen Bezirken finden sich immer wieder in Infoboxen, auf die an entsprechender Stelle verwiesen wird. Auf S. 40 etwa werden die überall auftretenden Namenelemente –ingen/-ikon genauer erklärt und auf S. 108 die verschiedenen Rodungsnamen. Dadurch werden Redundanzen vermieden. Auch einige ausgewählte Ortsnamen werden in solchen Infoboxen ausführlicher erklärt, als dies sonst im Buch möglich ist.

Der Band wird von einigen Anmerkungen und einem umfangreichen Register (zweispaltig auf 14 Seiten) abgeschlossen, dem man noch einmal ansieht, welch geballtes Wissen in diesem Buch steckt. Zudem ist er angereichert mit zahlreichen Bildern und (historischen) Karten. Für außenstehende, der Schweizer Geografie nicht so kundige Leser:innen würde sich eventuell zu Beginn eine Übersichtskarte über die Bezirke empfehlen – mit der Benutzung der Plattform ortsnamen.ch ist dieser Wunsch natürlich hinfällig. Jedoch gibt es sicher auch Interessierte, die nur in das Buch schauen werden und eine gedruckte Karte nutzen würden. Durch den weitgehenden Verzicht auf verschachtelte Satzstrukturen und fachsprachliche Abkürzungen lassen sich die Texte gut lesen. Das Buch schafft mit seinen anschaulichen Erklärungen tatsächlich, den Spagat zwischen wissenschaftlicher Akkuratheit und allgemeiner Verständlichkeit zu bestehen. Ein lesenswertes Buch – nicht nur für Einwohner:innen der Schweiz!

Zum Abschluss seien in alphabetischer Reihenfolge noch einige kuriose Namen aufgeführt, deren Deutung selber nachgelesen werden kann – im Buch oder auf ortsnamen.ch: Angst und Not (S. 111), Äschtürli (S. 182), Eierbrecht (S. 220), Freudenberg (S. 161), Gusch (S. 152), Juckeren (S. 159), Mies (S. 145), Samstagern (S. 131), Schmalzgrueb (S. 145),  Seefahrt  (S. 128),  Steindrüsen  (S. 178), Vorderpfannenstiel (S. 143), Wurstbrunnen (S. 107f.),  Zumpernaul (S. 140).

  1. URL: https://www.ortsnamen.ch/de/regionale-projekte/kanton-zuerich (Abruf 22.02.2024) ↩︎
  2. Gerhard Rampl: [Rezension zu] ortsnamen.ch, in: Onomastikblog [25.1.2022], DOI: https:// doi.org/10.58938/ni646 (Abruf 22.02.2024) ↩︎

Hinweise

Zitierbare DOI: https://doi.org/10.58938/ni720

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