Die tschechischen Ortsnamen „Polepy“ und „Přílepy“

Die beiden im Titel genannten tschechischen Ortsnamen sind jüngst – durch Walter Wenzel im onomastikblog vom 5. April 2020 – im Zusammenhang und zusammen mit den drei Ortsnamen Polep, Perlipp und Preilipp neu zur Diskussion gestellt worden. Die tschechischen Namen erweisen sich in der Tat als diskussionswürdig und hochinteressant. Ihre bekanntlich auf modernem wissenschaftlichen Konzept, vorbildlicher Akribie und reicher Erfahrung beruhenden toponomastischen Erklärungen in den bekannten Kompendien Profous (1947-1960) und Hosák/Šrámek (1970-1980) bieten auch hier einen festen Boden für kritischen Nachvollzug, allerdings, wie zu zeigen sein wird, mit einem Kuriosum. Vorauszuschicken ist, daß bei der Erklärung dieser Namen überwiegend von der Wurzel *lěp– des Verbs *lěpiti ›kleben‹ ausgegangen wird.

1Polepy: 1343 in Polip; 1371 de Polipp, in Polipp; 1382 de Polep und 2Polepy/dt. Polep: um 1227 Polepi; 1367 ves Polepy, v Polepích. Die Belege zu 1Polepy beruhten auf dem Iterativum *polipati bzw. *polěpiti ›bekleben, bestreichen‹, und der Name Polipy bzw. Polepy bedeute ›Dorf von Leuten, die [etwas] bekleben (wohl für den Vogelfang)‹, so sinngemäß in Profous (1947-1960: III, 424).

1Přílepy: 1399 de Przyelep; 1400 in Przielep; 1489 v Przielepiech; 1574 ves Přílepy. Profous. Nach Profous (1947-1960: III, 478) ›Dorf der sehr feinen, eleganten Leute‹ zu atsch. přelepý ›velmi lepý, způsobný, sehr fein, artig, elegant‹. Volksetymologisch werde der Name als ›quasi angeklebt an den sich über dem Dorf erhebenden Felsen‹ gedeutet (zu přilepiti ›ankleben‹; ohne Quellenangabe).

2Přílepy: 1327 Wlastiborius de Prilep bona in Prilep vendit monio in Osek; 1341 Przilep, 1436 Přílepy. Profous (1947-1960: III, 478).

3Přílepy, Velké P., und 4Přílepy, Malé P.: 1357 in Przilep novam villam; 1359 villa nova dicta Prsilep; 1408 u Přílep. Nach Profous (1947-1960: III, 478) ›Dorf der *Příleps, d.h. der Familie des*Přílep‹. Der PN *Přílep sei gleich dem gleichlautenden Appellativum, vgl. ablg. prilepъ ›etwas, das irgendwo nutzlos anhängt, Angeklebtes, Anhängsel‹. Der PN gilt als erschließbar aus dem ON Přílepov, nw. von Milévsko: 1488 Erstbeleg, ebenso.

5Přílepy: 1272 de Pryelep; 1437 villam Przilepi; 1515 z Przilep; 1532 tej tvrze Przyelepdrží tvrz Przylepy. Nach Hosák/Šrámek (1970-1980: II, 326f.) entweder (a) ein deanthroponymischer Bewohnername – s.o. 3,4Přílepy – oder (b) ein deappellativischer mit dem Motiv ›Ort, der an eine größere Fläche angeklebt, ihr hinzugefügt wurde‹.

Hier nun legen Hosák/Šrámek kurios eine versteckte Fährte – der bei der weiteren Betrachtung aller genannten (und der noch zu nennenden) Namen unbedingt zu folgen ist:

Im Artikel zu Přílepy verweisen Hosák/Šrámek (a.a.O.) auf die Oikonyme íkazy, Příklopy, Výkleky sowie auf die Flurnamen Přílomky und Přílepy (womit sich ein 6Přílepy ergibt, das freilich keine besonderen Anhaltspunkte für die weitere Diskussion bietet – außer daß man wahrscheinlich eine untergegangene Siedlung vermuten muß). Innerhalb des Artikels zu Přítluky (Hosák/Šrámek 1970-1980: II, 329f.) stößt man dann überraschend (ebd., 330) auf die Aussage, auch Přílepy habe “die Bedeutungsspezifizierung ›Leute, die zwar neu angekommen, aber auf die Weise seßhaft geworden sind, daß sie sich an eine bereits existierende Siedlung angeheftet, d.h. in deren Nähe niedergelassen haben‹ (Übersetzung aus dem Tschechischen B.K.). Man schließt diesen Satz an die Interpretation von Tučapy, Výčapy, Tukleky, Výkleky und Tupadly und nun auch Přítluky als Bezeichnungen von Neuankömmlingen, Neusiedlern, an, die sich von irgendwoher hierher geschleppt, mühsam den Weg hierher gefunden, ihre Wanderung hier beendet haben, hierher gestoßen sind u.ä. Man wird sodann weitergeführt zu den ausführlichen einschlägigen Darlegungen zu Tučapy (a.a.O.: 619) und schließlich auch zu den die Sache nochmals um einen Aspekt (Spottnamencharakter) erweiternden unter Výkleky (a.a.O.:759f.). Im Artikel zu 4Tučapy wird ebenfalls Přílepy als paralleles Beispiel genannt (nun allerdings mit in die Irre führendem Verweis auf dessen Lemma).

Anzuschließen sind hier zum Vergleich die scheinbar ganz anders gebildeten Ortsnamen Počaply und Tupadly. Zu Počaply gesellt sich aber ein Přečaply, zu Tupadly ein polnisches Wypadły (erwähnt in Hosák/Šrámek 1970-1980: II, 619), außer Zálezly gibt es Odlezly, auch Podmokly ist zu nennen (die genannten tschechischen jeweils unter den Lemmata in Profous 1947-1960). Hier findet sich jedenfalls eine offenbar vergleichbare Varianz der Präfixe. (In Hosák/Šrámek 1970-1980: II, 619 wird auf eine wichtige Arbeit von Jaromír Spal hierzu in Slavica Slovaca VI, 270-274 verwiesen, die mir z.Z. nicht zugänglich ist). Ansonsten handelt es sich der Herkunft nach um Substantivierungen des l-Partizips (Perfekt-Aktiv-Partizips).

Zu klären ist offenbar das Verhältnis z.B. zwischen Počaply/Přečaply einerseits und Tučapy /Tučapy andererseits. Offenbar könnte Tučapy ebensogut *Tučaply heißen. Zugrunde liegt eine Grundform *Tučapli (N.Pl.), A. *Tučaply, G. *Tučaplъ. Der nach dem Schwund des ъ entstandene silbische Sonor entfiel im lokalen Dialekt. Das entstandene Tučap wurde als neuer Stamm generalisiert. Dieser Prozeß falscher Rückbildung wurde sicher stark befördert durch das Beziehungsadjektiv *Tučapsk– aus *Tučaplsk-. Er ist bei diesem Namen offenbar relativ früh abgeschlossen gewesen: Der älteste Beleg, zu 1131, lautet bereits <Tucapi>, ein -<l>- taucht in der Beleggeschichte der betreffenden vier Orte nicht auf (vgl. Hosák/Šrámek 1970-1980: II, 618f.). Umgekehrt sind noch in der tschechischen Sprache der Gegenwart z.B. für 2Počaply (dial. Podčáple) der Genitiv Podčáp und das Adjektiv Podčápskej lebendig (Profous 1947-1960: III, 388).
Allen derartigen Namen vom Typ Tučapy/Počaply ist gemeinsam, daß sie offenbar Spott der Nachbarn über eine (angeblich) ungünstige Wahl des Ansiedlungsortes bzw. Mißfallen über die Neuankömmlinge ausdrücken. Dies geschieht durch die Wahl von Bezeichnungen des Vorgangs oder des Resultats der Siedlungsgründung, die eine negative, karikierende, herabsetzende, abschwächende oder ironische Konnotation aufweisen: ›sich niederlassen, den Wohnsitz nehmen‹ wird im Kollektivspitznamen als ein Sich-hinhocken bzw. Dahocken oder Hinfallen (“wo es sich gerade so trifft”) oder Auf-die Kniee-niederfallen oder auch ein Sich-von-unten-her-naß-machen u.dgl.m. dargestellt. Die die Basen abgebenden Verben tragen evtl. expressiven Charakter, das Präfix po– drückt eine Herabsetzung des Wertes oder Abweichung von der Normalität des Vorganges aus, andere Präfixe Aspekte der Siedlungsdynamik (›bleiben‹, ›her‹, ›herüber‹, ›weg von dort‹ o.ä.).

Im Falle der Namen Polepy und Přílepy konnte die angenommene semantische Motivation kaum von dem in der Regel transitiven *lěpiti getragen sein. Das semantisch passende intransitive Verb tsch. lpěti, lpíti aus ursl. *lьpěti wiederum dürfte mit seiner Stammerweiterung um –ě schwerlich Grundlage einer entsprechenden Namensbildung gewesen sein können, wohl aber der nicht erweiterte Stamm *lьp-, nun präfigiert: *Polьpli →*Poľpli, G. *Polьplъ → *Polepl → *Polep || > neuer N. *Polepi || > N./A. *Polepy. Man hat anzunehmen, daß hier *lьpnõti ›haften, hängen/kleben bleiben‹ zugrunde liegt, falls nicht ein altes slawisches athematisches *lьpti noch existiert hat, dessen baltisches Pendant sich im litauischen lìpti, limpù findet (Machek 1968: 327; Trubačev 1974-2016: XIV, 219).

Auf eine Detaildiskussion zu den genannten tschechischen Ortsnamen kann verzichtet werden. Lediglich zu 1Polepy sei angemerkt, daß das -<i>- der Stammsilbe wohl sekundär ist, vielleicht in zeitweiliger Anlehnung an ein *polipati. Es handelt sich ansonsten durchweg um Namen mit den urtschechischen Grundformen *Polьpli, *Prilьpli und *Prělьpli.

Walter Wenzel hat nun neue Deutungen der Namen offensichtlich altsorbischer (altwestslawischer) Herkunft Polep, Perlipp und Prielipp vorgeschlagen – Namen, deren etymologische Identität mit den oben genannten tschechischen Oikonymen ins Auge springt. Der an und für sich interessante Versuch, bei der Erklärung dieser Namen (wie auch der tschechischen) von einer Bedeutungsverengung des Verbs *lěpiti auf ›etwas (speziell Wände) mit Lehm zu beschmieren/verschmieren‹ auszugehen und sie als ›Dorf der Leute, die sich gut darauf verstehen, Wände zu verkleben, mit Lehm oder ähnlichem Material zu verkleiden‹ oder als ›Dorf der Leute des X, dessen Name die entsprechende Bedeutung ‘Lehmbau-Arbeiter’ hat‹ schien wohl begründet insofern, als diese Bedeutung von *lěpiti sich nicht nur an sorbischen und polnischen Personennamen, die Walter Wenzel nennt, festmachen läßt, sondern auch an Appellativen verschiedener Slawinen wie blruss. dial. lepaj, lepak, ljapej ›Maurer, Ofensetzer‹, mehreren zu ursl. *lěparь uam. (Trubačev 1974-2016: XIV, 213, 214, 215 …). Eingeschränkt wurde die Überzeugungskraft des Vorschlages dadurch, daß weder Personennamen noch Personenbezeichnungen jener Bedeutung in den Formen, aus denen die Ortsnamen gebildet sein müßten, nachweisbar sind. Ohne auch hier weiter ins Detail zu gehen, kann behauptet werden, daß die Menge und strukturelle Ausgeprägtheit des toponomastischen Typs, der oben anhand tschechischer Ortsnamen exemplifiziert wurde und der bekanntlich auch mit altsorbischen Namen wie den ursprünglichen von Potschappel *Počapli, Taupadel ← *Tupadli und Bodenbach ← *Podmokli (1334, 1336 Podemug, Podemog) (HONSa 2001: II, 209, 489; I, 86) vertreten ist, wohl dazu zwingen, die im folgenden gegebene Deutung der drei Thüringer Ortsnamen für die einzig zutreffenden zu halten.

Polep, wüst gewordene Siedlung nö. Jena: 1195 Poleb; 1196 Polep (Eichler 1985-2009: III, 90). – Spätursl./urso. *Polьpli (N.Pl.), G. *Polьplъ → aso. *Polep || neuer N.Pl. *Polepi oder *Polepy. Entlehnung wohl auf der Grundlage des Genitivs. Wahrscheinliche annähernde Bedeutung ›Leute, die da ein bißchen kleben geblieben sind‹.

Perlipp, Wüstung bei Calbe/Saale: 1289 Prelepe, 1407 Perlip, 1484 Perlitz, 16. Jh. Perlip (Eichler 1985-2009: II, 64). – Spätursl./urso. *Prelьpli usw. (siehe Polep), aso. *Prelepy. Entlehnung wohl auf der Grundlage des altsorbischen Nominativs; die Veränderungen, die die Belege ab 1407 zeigen, sind rein deutsch (einschließlich Apokope des Endvokals). ›Leute, die von anderswo herüberkommend da kleben geblieben sind‹.

Preilipp, Ober,-, Unter-, n. Saalfeld: 1074 Prilop et alterum Prilep, 1385 zu Prylip, 1455 Preylip (Eichler 1985-2009: III, 107). – Spätursl./urso. *Prilьpli usw. (siehe Polep), aso. *Prilepy. Entlehnung wohl auf der Grundlage des Genitivs. ›Leute, die sich da drangeklebt haben‹.

Wichtig ist Walter Wenzels Hinweis auf Eichlers (1985-2009: III.107) Vermerk, daß der Name Prilepy auch im Ostseeslawischen, Slowakischen und (mehrfach!) im Russischen vertreten ist. Nunmehr könnte das dazu anregen, noch weiter der Präsenz des Typs *Počapli (“*Počapy”)in der ganzen Slavia nachzugehen.


Literatur:

Eichler, Ernst (1985-2009): Slawische Ortsnamen zwischen Saale und Neiße. Ein Kompendium, Bde. I-IV, Bautzen.

HONSa 2001 = Historisches Ortsnamenverzeichnis von Sachsen / hg. von Ernst Eichler und Hans Walther, Bd. I-III, Berlin (= Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte 21).

Hosák, Ladislav/Šrámek, Rudolf (1970-1980): Místní jména na Moravě a ve Slezsku,

Bde. I-II, Praha.

Machek,Václav (1968): Etymologický slovník jazyka českého, Praha.

Profous, Antonín (1947-1960): Místní jména v Čechách. Bde. I-V, Bd. IV zusammen mit

Jan Svoboda, Bd. V von Jan Svoboda und Vladimír Šmilauer, Praha.

Trubačev, O. N. (1974-2016): Ėtimologičeskij slovar‘ slavjanskich jazykov. Praslavjanskij leksičeskij fond, Bde I-XL, Moskva.

Wenzel, Walter: Die Ortsnamen Polep, Perlipp und Preilipp, in: www.onomastikblog /Namenspiegel/Neue Deutungen alter Namen [05. 04. 2020].

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