Petra Ewald, Inge Pohl (Hg.), Inoffizielle Eigennamen – Onomastische Studien. Berlin-Boston: Peter Lang 2024 (= Reihe Sprache – System und Tätigkeit, Band 76), 444 S. – ISBN: 9783631901588, Preis: 89,95 EUR (DE), DOI: 10.3726/b21984.
Rezensiert von Inga Siegfried-Schupp
Im zugleich als thematische Einführung und Fazit gedachten Vorwort betonen die beiden Herausgeberinnen Petra Ewald und Inge Pohl, dass die in der (vor allem mündlichen) Alltagskommunikation weit verbreiteten inoffiziellen Eigennamen in der Linguistik bislang nur für Anthroponyme und in Einzelstudien für inoffizielle Ortsnamen untersucht worden seien. Um diesem Desiderat zu begegnen, haben P. Ewald und I. Pohl erstmals einen Studienband zu diesem Thema mit einem Beitrag zur theoretischen Fundierung und zwölf Einzelstudien zu verschiedenen inoffiziellen Namenklassen zusammengestellt. Sie weisen darauf hin, dass in inoffiziellen Eigennamen neben kennzeichnenden Merkmalen des Referenzobjekts auch Wertungen und emotionale Bezüge enthalten sind und sich in diesen Namen „onymische Kreativität“ (S. 7) freier entfaltet als in den amtlich registrierten offiziellen Namen. Dieser ,individuelle Aspekt‘ macht die inoffiziellen Eigennamen zu einem lohnenden Forschungsgegenstand der Linguistik und weiterer Wissenschaftsdisziplinen.
Im Anschluss an das Vorwort führt Petra Ewald in ihrem separaten Einlei- tungsbeitrag (Inoffizielle Namen: Annäherung an eine namenklassenübergreifende Kategorie, S. 23–56) die schon im Vorwort vorgestellte Begriffsbestimmung inoffizieller Eigennamen, die auch in den meisten Einzelstudien im Band als Definition herangezogen wird, detailliert aus. Der Beitrag setzt beim Gegensatzpaar offiziell – inoffiziell an und arbeitet Unterscheidungsmerkmale heraus. In der Aus- einandersetzung mit der bislang im deutschsprachigen Raum erschienenen For- schungsliteratur zur Thematik und insbesondere mit der Arbeit von Kany (1992) zu inoffiziellen Personennamen entwickelt P. Ewald eine theoretische Grundlegung für inoffizielle Eigennamen, die sowohl den Primär- und den Sekundärstatus als auch Namengenese, Zuordnungskriterien/Zuordnungsbereiche und Funktionen dieser Namen in den Blick nimmt.
Die sich anschließenden Einzelbeiträge sind in die Buchteile A (inoffizielle Anthro ponyme), B (inoffizielle Zoonyme), C (inoffizielle Toponyme) und D (inoffizielle Ergo nyme) eingeteilt.
Katharina Turgay: Nicknames von trans* Personen in sozialen Netzwerken – Eine empirische Untersuchung (S. 59–79)
Der einzige Beitrag in diesem Band zu inoffiziellen Anthroponymen beschäftigt sich mit der Frage, welche Rolle die Identität von User*innen bei der Bildung von Nicknames spielt. Untersucht wird dies mittels einer deskriptiven Studie der Na- menbedeutung und -motivik von 600 Nicknames von trans* Personen auf vier sozialen Plattformen (Instagram, TikTok, Twitter, Mastodon). Die Analyse orientiert sich an deren Transparenz und bewertet die Aussagekraft der Nicknames nach Semantik und jeweiliger Namenmotivik. Je nach inhaltlicher Ausrichtung der Plattform unterscheiden sich die Ergebnisse, doch zeigt sich, dass neben dem Bemühen um Anonymität von den User*innen zugleich auch die Anzeige der eigenen trans*-Identität bei der Namenbildung berücksichtigt und als relevant für die Namenwahl angesehen wird. Die Autorin verweist darauf, dass eine weniger spekulative Auswertung der Daten nur über eine Befragung der User*innen gelingen kann.
Theresa Schweden: Von Stinkehund und Speckberta bis Baby und Prinzessin: Se- kundärnamen für Hunde – ein onomastischer Zugang zur Tier/Mensch-Grenze (S. 83–105)
Die im Bandteil Inoffizielle Zoonyme vorgestellte Analyse des in einer Fragebogen- studie erhobenen Kosenameninventars von Hunden beschäftigt sich mit der Ent- wicklung der Namengebung bei Hunden und dem daraus erschließbaren Aussagewert hinsichtlich der Tier/Mensch-Grenze. Da Hundenamen von keiner offiziellen Namenmeldepflicht erfasst sind, plädiert Theresa Schweden für die auf Haustiere besser passende Unterscheidung von primären und sekundären Namen.
Bei den Primärnamen zeigt sich, dass die in Vorgängerstudien festgestellte Häufigkeit von Hundenamen mit anthroponymischer Basis weiter angestiegen ist, was für eine zunehmende Auflösung der Mensch/Tier-Differenz spricht. Die vor allem in nicht-öffentlichen Situationen gebrauchten Sekundärnamen, die stärker die Beziehungsebene berühren, haben häufiger appellativische Namenbasen und zeigen oft Namenmodifikation und sprachspielerische Formen. Sie offenbaren eine Nähe zu anthroponymischen Kosenamen. In den ebenfalls auftretenden Spottnamen sieht die Autorin eine Abweichung von der anthroponymischen Praxis. Hier empfiehlt sich m. E. ein Vergleich mit in zwischenmenschlichen Partnerschaften vorkommenden spöttischen und auf den ersten Blick abschätzigen intimen Kosenamen. Insgesamt vermittelt der lesenswerte Aufsatz ein umfassendes und differenziertes Bild der onymischen Entwicklung angesichts der zunehmenden Integration von Hunden in die Familie.
Die folgenden drei Beiträge gehören zum Bandbereich Inoffizielle Toponyme:
Inge Pohl: Inoffizielle Städtenamen in Deutschland – Formale, semantische und funktionale Aspekte (S. 109–146)
Grundlage dieser nicht repräsentativen Studie ist ein Korpus von 181 inoffiziellen Städtenamen, das in einer gezielten Befragung einer altersgemischten Gruppe von 50 Gewährspersonen mit VertreterInnen aus allen deutschen Bundesländern erhoben wurde. Die schriftlichen Namenbelege zu primär mündlich verwendeten inoffiziellen Städtenamen wurden hinsichtlich formaler, semantischer und funktionaler Aspekte analysiert, wobei durch den Einbezug der jeweiligen Verwendungskontexte auch namenpragmatische Fragestellungen im Zentrum standen. Für die analysierten inoffiziellen Städtenamen sind je nach namennutzender Gruppe verschiedene Bedeutungszuweisungen möglich. Für ihre Entschlüsselung ist die Kenntnis von soziokulturellem Hintergrundwissen unabdingbar. Darüber hinaus sollte m. E. gerade beim Namengebrauch der Ü20-Gruppe und der hier häufig vorkommenden sprachspielerischen Verwendung englischsprachiger Elemente das Phänomen interlingualer Interferenz beachtet werden. Die Autorin hebt mit Blick auf den Gebrauch hervor, dass inoffizielle Städtenamen in den jeweiligen Kommunikati- onssituationen mit verschiedenen stilistischen Markierungen (u. a. diatopisch, dia- stratisch, diachronisch) verwendet werden können und neben lokalisierenden vor allem wertende, charakterisierende sowie identitätsstiftende und -versichernde Funktionen haben können.
Hartmut E. H. Lenk: Berolinismen als inoffizielle Mikrotopo- und Ergonyme in Deutschlands Hauptstadt: „Spitznamen“ für Stadtteile, Straßen, Plätze und Gebäude Berlins (S. 147–182)
Mit inoffiziellen städtischen Mikrotoponymen und Ergonymen in Berlin beschäftigt sich Hartmut Lenk. Inoffizielle Namen von Berliner Straßen, Plätzen, Stadtteilen, Gebäuden und Gebäudeteilen begegnen in verschiedenen Sammlungen unter der Bezeichnung „Berolinismen“. Der Autor analysiert diese nach einer terminologischen Erörterung unter Vorbehalt als „Spitznamen“ und untersucht deren sprachliche Eigenschaften, ihre lexikalische Struktur und Wortbildungsmuster, daneben aber auch die verschiedenen Namenmotive und Bedeutungsübertragungen. In den besprochenen Beispielen zeigen sich auch Reflexe der früheren Teilung der Stadt und der Einfluss unterschiedlicher soziokultureller Prägungen. In einer anonymen, nicht repräsentativen Fragebogenumfrage hat der Autor zudem erhoben, inwieweit die durch verschiedene Veröffentlichungen als „Berolinismen“ verbreiteten inoffiziellen Toponyme tatsächlich im alltäglichen lokalen Namengebrauch bekannt sind und verwendet werden. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass dies nicht bei allen der für Berlin als typisch genannten „Spitznamen“ der Fall ist und dass einige ein mediales Eigenleben zu führen scheinen.
Anne Zastrow: Inoffizielle Topo- und Ergonyme in der Alltagskommunikation Studierender in Rostock (S. 183–211)
Die Autorin stellt in ihrem sehr gut geschriebenen Beitrag eine textbasierte Analyse von inoffiziellen Rostocker Topo- und Ergonymen vor. Hierfür wurden 896 Artikel aus einem online als Weblog veröffentlichten Rostocker Studierendenmagazin als Materialbasis herangezogen und die darin zahlreich vorkommenden usualisierten Namen analysiert. In der Studie werden sowohl die Vorteile einer textbasierten Untersuchung als auch ihre Nachteile thematisiert und gegeneinander abgewogen. Die hinsichtlich ihrer häufigsten Referenzobjekte, ihrer Bildungsweise und ihrer Funktion analysierten Namenbelege zeigen, dass in den Artikeln besonders häufig lokal schon etablierte Mikrotoponyme und Ergonyme (hier Gebäudenamen) verwendet werden. Die allermeisten dieser Namen haben eine charakterisierende Funktion, besonders häufig werden Kurzformen genannt, die in der Gruppe der Namennutzenden ein Zugehörigkeitsgefühl erwecken. Interessant ist, dass das Studierendenmagazin mit kleinen Namenlexika und der wiederholten Entschlüsselung von inoffiziellen Namen auch eine Namenvermittlungsrolle übernimmt und zugezogene Studierende in den lokalen Namengebrauch einführen möchte.
Christine Römer: Von Sozen, der Friedenspartei und dem gelben Zwerg: Spott- und Kosenamen als Onyme für politische Parteien (S. 215–240)
Die Autorin bietet in ihrem, den umfangreichsten Bandteil (Inoffizielle Ergonyme) eröffnenden, deskriptiven Beitrag zunächst eine theoretische Klärung des Eigen- namenstatus von Parteinamen als funktional-semantisch motivierte Institutionsnamen und wendet sich anschließend offiziellen und inoffiziellen Parteinamen zu. Sie untersucht die verschiedenen morphologischen und semantischen Arten von offiziellen Parteinamen auch hinsichtlich ihrer historischen Entwicklung. Inoffizielle Parteinamen begegneten vor allem als Spott- und Schimpfnamen, seltener auch als Kosenamen. Während die offiziellen Namen von den Parteimitgliedern selbst vergeben und etabliert werden, geschehe dies bei den inoffiziellen Parteinamen vor allem „in der medialen Öffentlichkeit“, um die „Einstellungen gegenüber der bezeichneten Partei kompakt zum Ausdruck zu bringen oder zu versuchen, eine solche beim Hörer oder Leser zu erzeugen“ (S. 217). Auffällig sei dabei besonders die starke Kontextabhängigkeit der untersuchten Belege und die sich daraus ergebende semantische Mehrdeutigkeit. C. Römer führt eine Reihe von Beispielen auf, wobei nicht ersichtlich ist, welches Quellenkorpus mit welcher Methode für die Analyse herangezogen wurde.
Jessica Nowak, Katharina Böhnert: Das Uschi, das Kloster, das Carolus niveaulos – Bildung und Motive inoffizieller Schulnamen (S. 241–265)
Der Beitrag beschäftigt sich mit den strukturellen und semantischen Besonderheiten von offiziellen und inoffiziellen Schulnamen. Die analysierten Namen wurden in einer nicht repräsentativen Umfrage von 73 Personen in der Städteregion Aachen ermittelt, wobei insgesamt 56 inoffizielle Namen zu 34 weiterführenden Schulen erhoben werden konnten. Für die Pilotstudie wurde ein differenziertes Analyseverfahren genutzt, das die Belege nach Eigen- und Fremdbezeichnungen unterscheidet und sehr interessante erste Erkenntnisse anbieten kann. Besonders ist hier hervorzuheben, dass es vor allem die Fremdbezeichnungen (von Personen ohne Direktbezug zur benannten Schule) sind, die stärker charakterisieren und werten. Trotz des begrenzten Untersuchungsmaterials liefert die Auswertung wichtige erste Einsichten und gibt Impulse für künftige Studien zu dieser Thematik. Gerade mit Hinblick auf die ermittelten Unterschiede der Bildungsmuster und Benennungsmotive von Eigen- und Fremdbezeichnungen wäre vielleicht auch der Einbezug von Fokusgruppengesprächen und -interviews lohnend.
Sebastian Kürschner: Inoffizielle Namen von Sportmannschaften: Grünhemden und Recken gegen Steelers und gelbe Bären (S. 267–303)
Inoffizielle Mannschaftsnamen sind Thema des Beitrags von Sebastian Kürschner. Mittels einer Stichprobenuntersuchung hat der Autor 338 Belege inoffizieller Namen in verschiedenen sportjournalistischen Internetquellen gesammelt und analysiert und deren sprachstrukturelle und semantische Merkmale untersucht. Die im Umfeld der Sportmannschaften und in der auf sie bezogenen Berichterstattung entstandenen und erwähnten Bezeichnungen teilt der Autor in zwei Gruppen ein. Es begegnen zum einen inoffizielle Sekundärnamen („Mannschafts-SpitzN“, S. 273) zu offiziellen Vereinsnamen und zum anderen inoffizielle Primärnamen ohne offizielles Äquivalent. Letztere bezeichnet Kürschner als „Vermarktungsnamen“ (S. 274). In welchem Maß man bei diesen, häufig mit einem Marketingkonzept verknüpften, semi-offiziellen Benennungen von inoffiziellen Mannschaftsnamen im engeren Sinn ausgehen kann, ist meiner Ansicht nach insbesondere hinsichtlich des Namengebungsakts diskutabel. Die größte Gruppe der erhobenen inoffiziellen Mannschaftsnamen findet sich im Fußballbereich, der in Deutschland auch das größte mediale Interesse erfährt. Die strukturelle und semantische Auswertung der untersuchten Namengruppen ist lesenswert und auch in kulturgeschichtlicher Hinsicht erhellend.
Barbara Aehnlich, Tim Köring: Kein „alltäglicher Gruppenname“? – Namengebung bei Ultrafangruppen (S. 305–338)
In der sich seit etwas mehr als 30 Jahren entwickelnden Ultra-Fanszene im deutschen Fußball begegnet eine Reihe von Fangruppennamen, die von Barbara Aehnlich und Tim Köring untersucht worden sind. Materialbasis ist ein von Köring im Rahmen seiner Abschlussarbeit erhobenes Namenkorpus von 305 Fangruppennamen. Hervorzuheben ist, dass durch die „mehrdimensionale und mehrschichtige Herangehensweise“ ein Korpus vorliegt, „das als weitestgehend repräsentativ für die gesamte Ultrabewegung in Deutschland gelten kann“ (S. 315). Die primär in schriftlicher und visueller Verwendung auftretenden Fangruppennamen, die wegen des in der Ultraszene praktizierten Fankonzepts über Aufkleber und Graffiti in den öffentlichen Raum eingeschrieben sind, sind primäre inoffizielle Eigennamen. Sie werden im Beitrag als Unterklasse der Ergonyme betrachtet, obgleich sie auch zahlreiche Überschneidungen mit Vereins- und Unternehmensnamen aufweisen. Die Analyse der bewusst von den offiziellen Vereinsnamen entkoppelten, identitätsstiftenden Eigenbenennungen zeigt interessante interonymische Bezüge zu anderen szene-internen und internationalen Fangruppennamen (z. B. die Nachbenennung Fortuna Eagles zu Lazio Eagles, S. 324). Die profunde Studie bietet eine detaillierte Auswertung der Bildungsmuster, Benennungsmotive und -prozesse in der Subkultur der Ultras und berücksichtigt auch Überschneidungen mit und Unterschiede zu den inoffiziellen Namen anderer Fangruppen (Hooligans und inoffizielle Fanclubs).
Wilhelm Schellenberg: Ingo, Treckerchen und Wilde Hilde – Über inoffiziell- private Namen für Autos (PAN) und andere mobile Gefährte(n) (S. 339–378)
Mit inoffiziellen Objektnamen beschäftigt sich der Beitrag von Wilhelm Schellen- berg. Neben allgemein bekannten inoffiziellen Sekundärnamen zu offiziellen Fahr- zeugmodellnamen (wie etwa Bulli für den VW-Bus) gibt es auch zahlreiche Kose- und Spitznamen für Einzelfahrzeuge, die in der privaten Kommunikation im engsten persönlichen Kreis genutzt werden und insgesamt zu den am häufigsten vergebenen individuellen Geräte- und Maschinennamen in Deutschland gehören (vgl. auch Ottersbach/Solling 2022). Nach der Bestimmung der Unterschiede zwischen offiziellen, inoffiziellen und privat-inoffiziellen Autonamen stellt W. Schellenberg eine Studie zu privaten Autonamen vor, die aus einem Korpus von 170 Token besteht. Das Namenmaterial wurde hinsichtlich der jeweils verwendeten Namenbasis und der Benennungsumstände ausgewertet. Es zeigt sich, dass die analysierten privaten inoffiziellen Autonamen vor allem zu onymischen Basen (und hier überwiegend zu Anthroponymen) gebildet wurden. Da in den für die Studie berücksichtigten Umfragen und Foreneinträgen zu etwa 44 % der erhobenen Namen zusätzliche Angaben zu den Benennungsumständen und -hintergründen gemacht wurden, ließen sich auch Aussagen zum Stellenwert der Beziehungsebene machen, die mit den privaten Autonamen ausgedrückt wird.
Petra Ewald, Georg Manzke: Namen von Segelbooten in Deutschland (S. 379–411)
Von privaten Eignerinnen und Eignern vergebene Bootsnamen sind Gegenstand der Untersuchung von Petra Ewald und Georg Manzke. Für diese bislang kaum untersuchten Namen wurde mittels einer Pilotstudie und einer sich daran an- schließenden weiteren Umfrage eine Materialsammlung erstellt. Neben Fragen nach Bildungsweise und Struktur der erhobenen Namen wurden auch Aspekte der Namenmotivation und der Beweggründe für die Namenvergabe in den Blick genommen. Die im Beitrag den Privatnamen zugeordneten Fahrzeugnamen wei- sen eine Besonderheit auf, die mit Hinblick auf ihre Zuordnung zu den inoffiziellen Namen gesondert fokussiert werden sollte: Obwohl private Bootsnamen keinerlei offiziellen Vorgaben genügen müssen und die Benennung „individuell oder in einer kleinen, informellen Gruppe“ (S. 384) erfolgt, ist der Name dennoch auf dem Bootskörper allgemein sichtbar und wird in Funksprüchen verwendet, womit die Bootsnamen in der Öffentlichkeit in einem anderen Maß wahrgenommen werden als andere private Namen. Die Analyse der Bootsnamen folgt in der Studie einer eng umrissenen Forschungsfrage. Bei den Benennungsmotiven fällt die Bezugnahme zur Biografie der Eigner und Eignerinnen auf, die dazu führt, dass viele Bootsnamen eine verschlüsselte oder direkte Erinnerungsfunktion haben (S. 408). Besonders interessant ist die Darstellung der Traditionslinien in der Bootsbenennung.
Christina Gansel: Namen von Haushalts- und Gartentechnik zwischen Indivi- dualisierung und Konventionalisierung (S. 413–440)
Der Band schließt mit einer Studie zur Benennung von Maschinen, Automaten und Robotern, die in Haushalt und Garten genutzt werden. Die Studie geht auf Basis von zwei Umfragen der Frage nach „welche der drei Entitäten – Maschine, Automat, Roboter – eher mit individuellen Namen versehen wird“ (S. 416). Besonders hervorzuheben ist die gut durchdachte und sorgfältige Herangehensweise bei der Erhebung der Namendaten. Gansel zeigt, dass es vor allem Bewegungsroboter sind, die mit individuellen Namen bedacht werden und dass sich aus dem Type-Token-Verhältnis ein hoher Individualisierungsgrad ablesen lässt. Neben der formalen Analyse des erhobenen Namenmaterials wird durch Einbezug von Verwendungskontexten untersucht, inwieweit ein Sprechen mit und über die mit inoffiziellen Namen benannten Geräte stattfindet. Die Autorin stellt fest, dass vor allem „LOBEN, TADELN und SCHIMPFEN/Ausdruck des SICH-ÄRGERNS als die üblichen sprachlichen Handlungen gegenüber dem Gerät benannt werden“, in emotionalen Situationen aber auch „TRÖSTEN“ (S. 435). Die kontextuelle Einbindung des Namengebrauchs erlaubt weiterführende Aussagen zur Mensch-Maschine-Beziehung und liefert neben der sprachlichen und semantischen Analyse wichtige Impulse für die Untersuchung des Zusammenhangs von Benennung und Wahrnehmung der Geräte im familiär sozialen Umfeld.
Fazit: Das hier besprochene Buch präsentiert sich als thematischer Sammelband und Anregung für die weitere Erforschung von inoffiziellen Eigennamen. In den Einzelbeiträgen zu verschiedenen inoffiziellen Namenklassen zeigen sich grundle- gende Gemeinsamkeiten, die im Einführungsartikel gesondert herausgearbeitet und bestimmt werden. Es wird greifbar, dass die inoffiziellen Eigennamen ein großes Untersuchungspotenzial für die Linguistik haben. Der Studienband beinhaltet vor allem Untersuchungen aus synchroner und primär sprachsystematischer Perspektive, teilweise auch unter Einbezug pragmatischer und soziolinguistischer Überlegungen. Generell ist der Einbezug anderer linguistischer Teilgebiete und interdisziplinärer Ansätze im Hinblick auf die Rolle, die inoffizielle Eigennamen in und für Gemeinschaften haben, äußerst lohnend. Im Studienband wird wiederholt auf das Problem der Erhebung inoffizieller Eigennamen hingewiesen, das sich vor allem in der starken Trennung von amtlich regulierten offiziellen und in einer SprecherInnengemeinschaft etablierten inoffiziellen Namen zeigt. Hier empfiehlt sich der Blick auf Forschungsarbeiten, die sich mit informellen/inoffiziellen Eigennamen im Globalen Süden (z. B. Cumbe 2016, Wanjiru/Matsubara 2017, Dohardt/Kieslinger 2024) oder in sozialen Gruppen (Rymes 1996) beschäftigen und nicht zuletzt auch hilfreiche methodische Anregungen geben können.
Literatur
Cumbe, César (2016): Formal and Informal Toponymic Inscriptions in Maputo: Towards Socio-Linguistics and Anthropology of Street Naming, in: Bigon, Liora (ed.): Place Names in Africa: Colonial Urban Legacies, Entangled Histories, Holon, 195–206.
Dohardt, Raphael/Kieslinger, Julia (2024): Naming Practices in Dominican Bateyes: Toponymy from Below, in: Namenkundliche Informationen 116, 95–130.
Kany, Werner (1992): Inoffizielle Personennamen. Bildung, Bedeutung und Funktion, Tübingen.
Ottersbach, Ambra/Solling, Daniel (2022): Staubi & Robban – Individualnamen für Maschinen und technische Geräte im deutsch-schwedischen Vergleich, in: Beiträge zur Namenforschung 57 (3), 311–341.
Rymes, Betsy (1996): Naming as social practice: The case of Little Creeper from Diamond Street, in: Language in Society 25(02), 237–260.
Wanjiru, Melissa Wangui/Matsubara, Kosuke (2017): Slum Toponymy in Nairobi, Kenya, Urban and Regional Planning Review,Volume 4, 21–44.
Permalink zur Rezension: https://doi.org/10.58938/ni748