Neue Deutungen alter Namen

Die Ortsnamen Polep, Perlipp und Preilipp

Für die im Titel genannten drei OrtsN (= Ortsnamen) fanden sich in der einschlägigen Literatur bislang keine stichhaltigen Erklärungen.

Polep, wüst gewordene Siedlung nö. Jena, n. Graitschen. Die spärliche Überlieferung beschränkt sich auf die Belege 1195 Poleb und 1196 Polep. Der Name sei altsorb. Herkunft, jedoch unsicher, eventuell sei aso. *Polěp mit dem Präfix po- und der Basis *lěp- ʻklebenʼ anzusetzen. Zur weiteren Erklärung wird auf die nachfolgenden beiden OrtsN verwiesen. Perlipp, Wüstung bei Calbe/Saale, 1289 Prelepe, 1407 Perlip, 1484 Perlitz, 16. Jh. Perlip,  aso. *Prelěp bzw. *Prelěpy, zum Appellativum *prelěp ʻAngeklebtes, Anhangʼ, vielleicht ein alter Flurname.

Preilipp, Ober,-, Unter-, n. Saalfeld, 1074 Prilop et alterum Prilep, 1385 zu Prylip, 1455 Preylip, aso. *Prilěp ʻOrt in Nestlageʼ, zum Appellativum *prilěp ʻAnhang, Anbau, Angeklebtesʼ (Eichler 1985-2009: III 90, 64, 107).

   Bei obigen nur schwer nachvollziehbaren Deutungsversuchen aller drei OrtsN wird bei Polep die genaue tschech. Entsprechung Polepy, mundartl. v Polepech, do Polep ʻin Polep, nach Polepʼ, 2 km s. Kolín, und Polepy, deutsch Polep, 9 km. osö. von Litoměřice/Leitmeritz übersehen, deren Erklärung den Schlüssel für die richtige Interpretation dieser alten Namen enthält. Antonín Profous deutet den OrtsN als ʻDorf der Leute, die kleben oder Klebstoff auftragen (um Vögel zu fangen)ʼ (Profous 1947-1960: III 424). Von der Motivation und der ursprünglichen Bedeutung her ist diese Erklärung nur schwer nachvollziehbar. Viel näher liegt „Dorf der Leute, die sich gut darauf verstehen, Wände zu verkleben, mit Lehm oder ähnlichem Material zu verkleidenʼ. Diese Bedeutung haben auch die häufigen sorb. Zunamen Lěpak, Lěpaŕ, Lěpiš und weitere mit Entsprechungen in anderen slawischen Sprachen, so im Poln. Lep, Lepa, Lepacz usw. (Wenzel 2004: 255 f.; Wenzel 2015: 60 f., K. 21; Rymut 1999-2001: II 16).  Diese Namen gleichen in semantischer Hinsicht dem deutschen Familiennamen Kleiber, aus mhd. kleiber ʻder eine Lehmwand macht, mit Lehm verstreichtʼ, für den Bauhandwerker (Kohlheim 2000: 175). Allen diesen slawischen Orts- und Personennamen liegt urslaw. *lěpiti ʻankleben, hängen, sich anfügenʼ zu Grunde, daraus oso. lěpić ʻkleben, kleistern, pappenʼ, lěpjenc ʻLehmhaus, Lehmgebäudeʼ, lěpjenca ʻLehmmauer, Lehmhütteʼ (Schuster-Šewc 1978-1989: II 827).  

   Die Erklärung des OrtsNs Polep dürfte auch für die OrtsN Perlipp und Preilipp zutreffen, aso. *Prilepy ʻSiedlung der Leute, die sich gut darauf verstehen, Wände (mit Lehm) zu verstreichenʼ. Sie besitzen ein genaues Pendant in tschech. Přílepy, 3 km. osö. von Holešovice in Mähren. In der dortigen Mundart verwendet man für den OrtsN die Formen Přílepe, do Přílep ʻnach Přílepyʼ, v Přílepích ʻin Přílepyʼ, Přílepák ʻeiner aus Přílepyʼ. Man erklärt den OrtsN als Bewohnernamen mit dem PersN (= Personennamen) Přílep aus dem alttschech. Appellativum přielep ʻangeklebte Sache, Pflaster (auf eine Wunde)ʼ, aus lepiti ʻklebenʼ. Daneben sieht man in dem Namen auch ein Deappellativum (Hosák/Šrámek 1970-1980: II 326 f.). In Böhmen gibt es die Siedlungen Přílěpy, n. Žatec/Saaz, sowie Velké Přílěpy, mundartl. v Velkých Přílepích, do V. Přílep, 11 km nw. von Smíchov, sowie Malé Přílěpy, mundartl. v Malejch Přílepích, erklärt als ʻDorf der Příleps, der Familie des Přílepʼ mit Verweis auf den OrtsN Přílepov ʻHof des Přílepʼ (Profous 1947-1960: III 478). Im Tschechischen war aber kein PersN Polep, Polepa, Přílep, Přílepa oder ähnl. nachweisbar, dafür im Poln. Przylepa, aus przylepa ʻStück Brotʼ, das semantisch nicht hierher paßt (Rymut 1999-2001: II 314). Auch im Sorb. sind Namen dieser Bildung, wo also ein Präfix verwendet wird, unbekannt. Vorzuziehen wäre bei unseren OrtsN die Erklärung als Bewohnernamen mit der oben bei Polep genannten Bedeutung, wobei jeweils nicht von von einem Personennamen sondern von einer Personenbezeichnung auszugehen ist. Im System der aso. OrtsN gehören somit *Polěpy und *Prilěpy zur dritten Subklasse, hier zu Typ 3.1., den pluralischen OrtsN mit Nullsuffix aus Personenbezeichnungen. Würde man von PersN ausgehen, müßte man sie der ersten Subklasse, dem Typ 1.1., pluralische OrtsN mit Nullsuffix aus PersN, zuordnen (Wenzel 2020: Lětopis). Die Namen der ersten und dritten Subklasse gehören in stratigraphischer Hinsicht zu den ältesten Ortsnamenschichten.

   Die neuen Deutungen der im Titel genannten drei OrtsN erlauben ganz andere und weitreichendere siedlungsgeschichtliche Schlußfolgerungen als die bisher vorgelegten Erklärungen. Die betreffenden Namen liegen an der westlichen Peripherie des altsorb. Sprachraumes, ja der Slavia überhaupt, an der Saale. Sie müssen schon sehr früh dort vergeben worden sein. Das geht nicht nur aus dem archaischen Charakter ihrer Bildungsweise und Bedeutung hervor, sondern auch daraus, dass sie wahrscheinlich von den ersten slawischen Ansiedlern in diesen Gegenden aus Böhmen und Mähren mitgebracht wurden, wo sie, wie wir oben sahen, genaue Entsprechungen haben. Sie gehören somit zur großen Gruppe der altwestsorb. – frühalttschechischen, genau genommen urslawischen Ortsnamenkorrespondenzen, die in den letzten Jahren ermittelt und auf über einem Dutzend mehrfarbiger Kartenpaare dargestellt werden konnten (Wenzel 2019: 180-238). Die Beweiskraft von *Prilěpy ist allerdings etwas eingeschränkt durch Entsprechungen im Elb- und Ostseeslawischen, Slowakischen und Russischen (Eichler 1985-2009: III 107). 

Literatur:

Eichler, Ernst (1985-2009): Slawische Ortsnamen zwischen Saale und Neiße. Ein Kompendium, Bde. I-IV, Bautzen.

Hosák, Ladislav / Šrámek, Rudolf (1970-1980): Místní jména na Moravě a ve Slezsku, Bde. I-II, Praha.

Kohlheim, Rosa / Kohlheim, Volker (2000): Duden. Familiennamen, Mannheim Leipzig Wien Zürich.

Profous, Antonín (1947-1960): Místní jména v Čechách. Bde. I-V, Bd. IV zusammen mit Jan Svoboda, Bd. V von Jan Svoboda und Vladimír Šmilauer, Praha.

Rymut, Kazimierz (1999-2001): Nazwiska Polaków, Bde. I-II, Kraków.

Schuster-Šewc, Heinz (1978-1989): Historisch-etymologisches Wörterbuch derober- und niedersorbischen Sprache, Bde. I-IV, Bautzen.

Wenzel, Walter (2004): Niedersorbische Personennamen aus Kirchenbüchern des 16. bis 18. Jahrhunderts, Bautzen.

Wenzel, Walter (2015): Atlas niedersorbischer Zunamen, Bautzen.

Wenzel, Walter (2019): Die slawische Besiedlung des Landes zwischen Elbe und Saale, hrsg. von Andrea Brendler und Silvio Brendler, Hamburg.

Wenzel, Walter (2020): Die Klassifizierung der altsorbischen Orts-, Personen- und Stammesnamen, in: Lětopis [im Druck].