Magdeborn

Bernd Koenitz

Magdeborn – Thietmars Medeburu(n) ziemlich anders betrachtet

Mit der Würdigung des Werkes des Chronisten Thietmar von Merseburg anläßlich seines 1000. Todestages am 3. Dezember 2018 durch eine Ausstellung und eine zugehörige Publikation (Thietmars Welt 2018) ist von Karlheinz Hengst außer anderen der von Thietmar erwähnten Slavica auch der Name des ehemaligen Dorfes Magdeborn (südöstlich Leipzigs), eines seinerzeitigen „Kastellums“, in der Chronik Medeburu oder Medeburun genannt (Thietmar [im weiteren: Th, Stellenangaben jeweils nach Holtzmann] II 37 bzw. IV 5), als ein besonders interessantes Zeugnis des Interesses des Chronisten an Sprache und Kultur der Slawen seiner Zeit und Umgebung wieder in den Blick gerückt worden (Hengst 2018:319). Unsicherheiten bei der Erklärung des Namens auf der Grundlage der Chronik, der Ersterwähnung, resultierten einerseits aus den beiden ungewöhnlichen Endungen, andererseits aus der irritierenden Deutung des Namens, die der Chronist selbst beigefügt hatte. In beiderlei Hinsicht soll hier eine Alternative vorgeschlagen werden. Seit Holtzmann, Jedlicki, Eichler (Eichler/Lea/Walther 1960:58) glaubt man den Namen als ›Honigwald‹, altsorbisch *Medubor oder *Medobor zu *med ›Honig‹ und *bor ›Nadelwald‹, sicher erklären zu können. (Von der Verteidigung der abweichenden Deutung Gustav Heys [1893:189, 128] als *Mědiboŕ in Koenitz 2010:115 nehme ich Abstand.) In dem Endungs-<u> von <Medeburu> wurde die Endung des Lokativs Singular vermutet. Die u-Stämmigkeit von ursl.*borъ (vgl. Profous:I,142) ließe auch die Annahme des Genitivs Singular als Rezeptionsgrundform zu (vgl. die dies offenlassende Formulierung von Hengst [a.a.O.] „das slawische auslautende –u einer Kasusform“). Bei der Form <Medeburun> vermutete man, daß es sich um eine deutsche Akkusativform handele, da der Name mit der den Akkusativ regierenden lateinischen Präposition ad verbunden vorliegt (vgl. Hengst 2003:104).

Unsicher blieb in der modernen Forschung der Ansatz bzgl. des Fugenelementes. Wegen des u-Stammes von *medъ setzte man *Medubor an (im Anschluß an Jedlicki 1953, Neudruck  2002:I, 99: miodubór [polonisiert]). Ernst Eichler ging nach anfänglichem Schwanken (Eichler/Lea/Walther 1960:a.a.O. und Eichler 1961:39) in mehreren Arbeiten nur noch von *Medobor aus. In Eichler 1985-2009:II,163 führte er zum Vergleich mehrere tschechische und russische nichtpropriale Komposita sowie den tschechischen Ortsnamen Medonosy an, offenbar als Begründung für die ebd. getroffene Entscheidung zugunsten *Medobor gemeint. In HONSa:II,6 und Eichler/Walther 2010:198 hatte man wieder nur *Medubor. K. Hengst (2003:104) übernimmt von Eichler *Medobor und bleibt dabei in Hengst 2018:319. Es dürfte vieles gegen die Annahme eines Kompositums mit dem Fugenelement –u– sprechen, so daß ich sie im weiteren vernachlässige. Als weniger problematisch wurde wohl (vgl. ebd.) – und gewiß zu Recht – das Problem der Entsprechung des mutmaßlichen Themavokals in Thietmars Notaten angesehen. Beispiele für die Vertretung des slawischen Fugenelementes ‑/o/- durch -<e>- in zweiter Silbe sind <Dobremir>- für *Dobromir [Th IV 58] und <Diadesisi> [Th VII 20], <Diedesisi> [Th IV 45], <Diedesi> [Th VI 57]  für *Dědož(e)zi – vgl. <Thadesi> (*Dědožzi) und <Dadosesani> (*Dědožežane) beim sog. Bayrischen Geographen.

Im folgenden wird in Form von knapp kommentierten Thesen eine alternative Erklärung der Namensgeschichte auf der Grundlage von Thietmars Text vorgeschlagen:

These (1.):

Thietmar hat mit <Medeburu> und <Medeburun> den Namen des Kastellums auf eine den zu seiner Zeit geläufigen altsorbischen oralen Formen nahekommende Weise notiert, freilich im Rahmen seiner Rezeptions- und Schreibgewohnheiten. Thietmars Nennungen sind zu lesen als altsorbisch *Medoborow bzw. *Medoborown.

Nicht nur slawische Namen mit -/o/-, sondern auch Kombinationen von /o/ und /w/ – in beiderlei Reihenfolge – werden bei Thietmar fast regelmäßig durch -<u>- wiedergegeben, vgl. <Ilua>, <Gusua> [Th VII 66], <Niriechua> [Th III 1], <Zuencua> [Th II 38] – für *Ilowa, *Chu(d)źowa, *Nirěchowa, *Zwẽkowa – , <Olscuizi> [Th VII 66] für *Oľšowica, <Mistui> [Th II 9, III 11, IV 2] für *Mstiwoj, <Vedu> [Th III 9] wohl für *Wědow. Der für Thietmar exemplifizierte Wiedergabeusus galt auch in anderen Schriftdokumenten des 10./11. Jahrhunderts, bspw. 973 Turguo; 1004 Turgua, Torgua (Torgau, HONSa:II,512). In der tschechischen Onymie findet man außer Ableitungen von *borъ mit –ov– (Borová usw.) auch solche mit –ovn-: Borovná, Borovno (← *Borovna oder eher – gegen Profous:I,142 – ← *Boroven ← *Borowьnъ!), Borovnice, Borovník (siehe die Lemmata in Profous:I,139-142 und Hosák/Šrámek:I,95f.). Das macht es wahrscheinlich, daß beide Nennungen von Magdeborn bei Thietmar, <Medeburu> und auch <Medeburun>, für die Endsequenz voll altsorbisch – auch als korrekte „Nennformen“, also im Nominativ ­– gedeutet werden können: (1) <Medeburu> = *Medoborow (← *Medoborowъ) (zu beachten ist: dieses Rekonstrukt könnte auch den regulären u-stämmigen Genitiv Plural darstellen); (2) <Medeburun> = *Medoborown (←*Medoboron ← *Medoborowьnъ). Anmerkung: Hier wird die Regel, wonach im Altsorbischen „starke“ Jers in nachtoniger Stellung schwinden, (vgl. Schaarschmidt 1997:62-64) nicht durch die Gegenregel außer Kraft gesetzt, wonach vor Sonoren diese Jers vollvokalisiert werden, da -/ow/- alsbald diphthongisch (monosyllabisch) realisiert und bewertet wurde, -/n/ somit nicht zu einem silbischen Sonor werden konnte (den das altsorbische phonologische System ausgeschlossen hätte).

These (2.1.):

Thietmar war aus mündlichen und/oder schriftlichen Quellen die dem Namen beigefügte Deutung mel prohibe bekannt, nicht aber eine mit der Deutung im Narrativ ursprünglich verknüpft gewesene Namensform.

Thietmar hat den Namen in folgenden  Text eingebunden: „Der Kaiser schenkte ihm [Bischof Boso] einige der Burg [Merseburg] zugehörige Dörfer und ein gewisses im Gau Chutici gelegenes Kastellum, welches Medeburu heißt (gedeutet wird es nun aber so: ›Mel prohibe‹)“. (Übersetzung aus dem Lateinischen B.K.). Offenbar wurde -<bur>- als der Stamm des Verbs *borti verstanden und das lateinische prohibere als dessen mögliches Äquivalent betrachtet.

These (2.2.):

Die ursprüngliche Namensform kann einem (späturslawischen) Imperativsatz *Medu bor(j)i! oder *Mede bor(j)i! ›Honig bewahre!‹ (Vokativ regulär u-stämmig bzw. abweichend o-stämmig) homonym oder auf eine Weise ähnlich gewesen sein, daß auf ihr ein Wortspiel beruhen konnte. Der slawische Satz wäre vielein-deutig äquivalent dem (auch syntaktisch ambigen!) lateinischen mel prohibe aus der Thietmarschen Deutung.

In der modernen Forschung und Editionspraxis nahm man aus der Menge der potentiellen Bedeutungen des polysemen lateinischen Verbs stets ›(be-)schützen‹ und übersetzte ›(Be-)Schütze den Honig‹. Ein anderes Verstehen zeigt bspw. Ursinus, der prohibere als ›verbieten‹ oder ›behindern‹ begriff, wie der leicht belustigende Passus „… Medeburu aber heißt auf deutsch so viel als die  Honigsperre. …“ (Dithmar 1790:100) zeigt. Ungewiß bleibt, wie Thietmar mel prohibe verstanden hat.

These (2.3.):

Der ursprüngliche Name der Siedlung lautete *Medobori oder *Medoborьje (hypothetischer Lautstand Mitte des 10. Jahrhunderts).

*Medobori war eine Nominativ-Plural-Form, bei der noch nicht die Regularität des Ersatzes durch die Akkusativform gegriffen hatte, und zwar mit o-stämmiger Endung, vielleicht ›Honigkiefern‹ (nicht ›-[kiefern]wälder‹) bedeutend (vgl. tsch. dial. bor ›Kiefer‹).  *Medoborьje ist Kollektivform, wohl ›Honigkiefernwald‹ (vgl. tsch. boří ›Kiefernanwuchs; Kiefernwald‹).

These (2.4.):

Das Wortspiel stellte eine Persiflage der Gottesbeschwörung lateinisch *Deus prohibe!, slawisch wohl *Bože bor(j)i!, (›Gott bewahre!‹) dar, die sich textlich unmittelbar an den Bericht über die Verspottung des Bittgesangs Kyrie eleison durch Slawen zu Zeiten des ersten Bischofs von Merseburg, Boso, anschloß, die daraus (angeblich) ukrivolsa ›ins Gebüsch [ragt] eine Erle‹ (Übersetzung B.K.) machten.

Thietmar hat wahrscheinlich den Persiflagecharakter der Namensdeutung nicht erkannt. Es sei denn, er hat ihn erkannt und das spöttische Wortspiel auch mit den rezenten Namensformen, die ihm zu Ohren und/oder zu Augen kamen, für vereinbar gehalten.

These (2.5.):

Der Thietmarsche Text läßt auf Namensänderung – durch adjektivische Ableitung aus dem Ursprungsnamen (vielleicht wegen des Burgwardcharakters, zu denkende Ergänzung evtl. *grod ›Burg‹) – und möglicherweise ein Schwanken der Namensform (evtl. unter Einschluß der wahrscheinlich weiter virulenten Ursprungsform sowie auch des Genitivs Plural) zu Beginn des 11. Jahrhunderts schließen.

Die weitere Beleggeschichte zu Magdeborn – 1243 in Meydebur; 1320/21 de Meybůrne, in Meydeborne; 1368 in Meydeborne; (1435) K Meideborn; 1752 Magdeborn (HONSa:II,6) – ist unschwer auf die in 2.5. angenommene Ausgangssituation zu beziehen.

Es versteht sich, daß die Gültigkeit der These (1.) von den Überlegungen zu der Thietmarschen Deutung und damit auch von der Frage der Gültigkeit der im Thesenkomplex (2.) nahegelegten hypothetischen Annahme einer Ursprungsform *Medobori oder *Medoborьje unabhängig ist. Der formale und auch historisch-genetische Zusammenhang der Formen *Medoborow und *Medoborown mit einer solchen Ursprungsform ist freilich transparent, doch wäre er gewiß gleichermaßen im Hinblick auf das bisher in der Forschung vertretene singularische Rekonstrukt *Medobor gegeben.

Die präsentierte Alternativerklärung wäre, insbes. zu den nicht-onomastischen Aspekten, um weitere, vertiefende Überlegungen zu vervollständigen, die aber den Rahmen dieses Blogbeitrags sprengen würden. 

Quellen und Literatur:

Dithmar (1790) = Dithmars, Bischofs zu Merseburg, Chronik in Acht Büchern, nebst dessen Lebensbeschreibung, aus der lateinischen in die deutsche Sprache übersezt und mit Anmerkungen erläutert von M. Johann Friedrich Ursinus, Pfarrern in Boritz. Dresden, 1790. In der Waltherischen Hofbuchhandlung.

Eichler, Ernst/Lea, Elisabeth/Walther, Hans (1960): Die Ortsnamen des Kreises Leipzig, Halle(Saale) (Deutsch-slawische Forschungen zur Namenkunde und Siedlungsgeschichte Nr. 8).

Eichler, Ernst (1961): Probleme der Analyse slawischer Ortsnamen in Deutschland, in: Leipziger namenkundliche Beiträge, Berichte über die Verhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologisch-historische Klasse, Bd. 106, H. 5, Berlin, S. 19-50.

Eichler, Ernst (1985-2009): Die slawischen Ortsnamen zwischen Saale und Neiße: ein Kompendium, Bautzen.

Eichler, Ernst; Walther, Hans (2010): Alt-Leipzig und das Leipziger Land, Leipzig.

Hengst, Karlheinz (2003): Wie lautete und was bedeutete der slawische Name des „heiligen Hain“ [sic! – B.K.] Schkeitbar südwestlich von Leipzig? Strukturelle Betrachtungen zu einem Namen bei Thietmar von Merseburg. In: NI 83/84, 91-110.

Hengst, Karlheinz (2018): Thietmar als Sprachkundiger und Interpret von Orts- und Personennamen, in: Thietmars Welt 2018:307-323.

Hey, Gustav (1893): Die slavischen Siedelungen im Königreich Sachsen mit Erklärung ihrer Namen. Dresden 1893. Reprint der Originalausgabe 1893 nach dem Exemplar der Universitätsbibliothek Leipzig. Mit einem Nachwort und ergänzendem Verzeichnis zu den Ortsnamen Sachsens von Ernst Eichler. Leipzig 1981.

Holtzmann = Die Chronik des Thietmar von Merseburg. Nach der Übersetzung von J.C.M. Laurent, J. Strebitzki und W. Wattenbach. Neu übertragen und bearbeitet von Robert Holtzmann. Leipzig 19394.

HONSa = Historisches Ortsnamenverzeichnis von Sachsen / hrsg. von Ernst Eichler und Hans Walther. Bd. I–III. Berlin  2001 (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte; 21).

Hosák, Ladislav; Šrámek, Rudolf: Místní jména na Moravě a ve Slezsku.  Bd. I,  Praha 1970; Bd. II, Praha 1980.

Jedlicki = Kronika Thietmara. Tłumaczenie (z tekstu łacińskiego), wstęp i przypisy Marian Zygmunt Jedlicki. [Neue Ausgabe:] Kraków 2002.

Koenitz, Bernd (2010): Unwürde, Lubij, Dažin, Stwěšin und andere Namen altsorbischer Herkunft …, Lětopis 57, 95-118.

Profous, Antonín (1947-1960): Místní jména v Čechách: Jejich vznik, původní význam a změny. Díl I-V. Praha. [Teil IV fertiggestellt von Jan Svoboda, Teil V bearb. von Jan Svoboda und Vladimír Šmilauer].

Schaarschmidt, Gunter (1997): A historical phonology of the Upper and Lower Sorbian languages, Heidelberg.

Thietmars Welt (2018) = Thietmars Welt. Ein Merseburger Bischof schreibt Geschichte, Michael Imhof Verlag.