Nachruf Walter Wenzel †

Walter Wenzel (20. Januar 1929 – 17. Juni 2025)[1]

Von Inge Bily, Leipzig

Geboren am 20. Januar 1929 in Hermsdorf/Heřmanice (Kreis Leitmeritz/Litoměřice, Tschechoslowakei), wurde Walter Wenzel[2] schon früh mit einem zweisprachigen Umfeld bekannt. Über verschiedene Stationen, so u.a. die Handelsoberschule in Gablonz/Jablonec nad Nisou und das thüringische Gotha, wo er 1949 das Abitur ablegte, kam er schließlich an die Universität Leipzig und nahm hier ein Studium der Russistik und Anglistik auf.

Nach erfolgreichen Abschlüssen in Russistik, Bohemistik, Anglistik und Erwachsenenbildung begann W. Wenzel seine Tätigkeit als Lektor, später Cheflektor für Russisch am Slawischen Institut der Universität Leipzig und bildete hier nicht nur mehrere Generationen von Absolventen aus, sondern hatte auch maßgeblichen Anteil an der Schaffung von Lehrmaterialien für das Studium der Russistik, vor allem zur Syntax, zur Phonetik und Intonation, zur Phraseologie und auch zur Landeskunde. Beteiligt war W. Wenzel außerdem an der Erarbeitung einer Reihe von Lehrbüchern für das Studium der Russistik, so z.B. zur Phonetik/Phonologie und auch zur Sprachgeschichte.

Parallel zu seiner Tätigkeit in der akademischen Lehre wandte sich W. Wenzel unterschiedlichen Forschungsthemen zu. Sie reichten von der Phonetik/Phonologie und Sprachgeschichte des Russischen, über die Lehn- und Reliktwortforschung bis hin zu verschiedenen Themen deutsch-slawischer Interferenz und der deutsch-slawischen Namenforschung.

Auf letzterem Gebiet hat er im Jahre 1960 seine Dissertation über „Die Ortsnamen des Schweinitzer Landes“ vorgelegt, die als vielbenutzter und -zitierter Band 16 der Reihe „Deutsch-Slawische Forschungen zur Namenkunde und Siedlungsgeschichte“ 1964 im Akademie-Verlag in Berlin erschienen ist. Dies war gleichzeitig der Beginn einer überaus regen namenkundlichen Publikationstätigkeit. Die deutsch-slawische Namenforschung verdankt W. Wenzel eine beeindruckende Zahl an Buchpublikationen, Aufsätzen, Rezensionen und Forschungsberichten. Dazu war er Mitherausgeber von Sammelbänden, Mitglied verschiedener Redaktionskollegien und ein gefragter Gast auf nationalen und internationalen namenkundlichen Tagungen und Kongressen, immer wieder auch als Referent in Heimatvereinen zu Besuch. Zu seinen Zuhörern gehörten Namenforscher wie auch Historiker und Geographen, ausgewiesene Vertreter ihres Faches ebenso wie interessierte Laien.

Eines seiner bedeutendsten Werke sind die 4-bändigen „Studien zu sorbischen Personennamen“ mit Strukturanalysen der untersuchten Namen in Teil I. „Systematische Darstellung“, einem zweibändigen „Historisch-etymologischen Wörterbuch der sorbischen Personennamen“ und einem separaten Atlasband, bestehend aus unterschiedlichen thematischen Karten und dazu gehörenden Kommentaren.

Ein Markenzeichen Wenzelscher Arbeit war die systematische vergleichende Einbeziehung der Ergebnisse von Siedlungsgeschichte, historischer Geographie und Kartographie in seine Untersuchungen. Durch diese kreative Berücksichtigung von Arbeitsergebnissen und damit auch Sichtweisen der Vertreter benachbarter Wissenschaftsdisziplinen gelangen W. Wenzel vielbeachtete innovative Ergebnisse bei der Auswertung seines durchweg quellenbasierten Materials des ehemals altsorbischen Sprach- und Kontaktgebietes. In ganz besonderem Maße gilt dies für die Darstellung namenkundlicher Befunde in Karten. Denken wir nur an seine Einbeziehung von Karten zur Bodenqualität aus dem „Historischen Atlas von Sachsen“ bei der Bestimmung der Ortsnamentypologie und ihrer kartographischen Darstellung mit anschließender Kommentierung.

Charakteristisch für W. Wenzels Arbeitsweise war ebenfalls eine beständige Weiterentwicklung und Verfeinerung der von ihm selbst entwickelten Methoden.

All dies änderte sich auch mit seinem Eintritt in den Ruhestand im Januar 1994 nicht. Vielmehr setzte W. Wenzel sein onomastisches Schaffen zielstrebig, beharrlich und systematisch fort. Die große Zahl seiner Publikationen legt davon ein beredtes Zeugnis ab. So verdanken wir W. Wenzel eine ganze Reihe grundlegender Nachschlagewerke, vor allem zu den Personen- und Ortsnamen des ehemals altsorbischen Sprach- und Kontaktgebietes. Dazu kommen Aufsätze und Studien, in denen er sich den noch immer weißen Flecken in den Namenlandschaften besonders der Lausitzen zuwandte.

Ganz besonders hervorzuheben ist die enorme Zahl von kartographischen Zusammenfassungen namenkundlicher Ergebnisse und ihre anschließende Kommentierung. Gleich mehrere Namenatlanten hat W. Wenzel vorgelegt. Die technische Umsetzung seiner Kartenvorlagen für den Druck besorgte über viele Jahre und in hoher Qualität Andreas Häffner, sein Schwiegersohn. In den letzten Jahren trat Enkelin Lena Wenzel mit in die Fußstapfen ihres Vaters.

Es ist ein großes Verdienst des Domowina- und auch des baar-Verlags, dass sowohl die bedeutenden Nachschlagewerke zu den Personen- und Ortsnamen, die Namenatlanten und auch die beachtliche Zahl von Aufsätzen in einer für den Benutzer gut zugänglichen Form erscheinen konnten. Darunter sind sowohl Studien zur Analyse des Materials wie auch eine ganze Reihe von Arbeiten zu methodischen und namentheoretischen Themen, außerdem Beiträge mit programmatischem Charakter, besonders hinsichtlich der Desiderata des Faches und der daraus abzuleitenden zukünftigen Aufgaben der Namenforschung.

Zu seinem ständigen „Handwerkszeug“ gehörten die von den slawistischen Kollegen im In- und Ausland geschaffenen Nachschlagewerke, denn W. Wenzel sah seine eigenen Arbeiten nicht isoliert, sondern immer im Kontext der deutsch-slawischen und der gesamt- bzw. westslawisch-vergleichenden Namenforschung, der Sorabistik wie auch der benachbarten Forschungsgebiete, die ihrerseits von den Ergebnissen seiner Arbeiten profitieren konnten.

W. Wenzel hat in wesentlichen namenkundlichen Disziplinen Ergebnisse vorgelegt, ganz besonders bei der Erforschung der slawischen Personennamen, dazu in der Orts-, Flur- und Gewässernamenforschung. Er hat sich dem in Eigennamen enthaltenen appellativischen Wortschatz zugewandt, wie auch den Personennamen in Eigennamen, darüber hinaus der Verbreitung, Typologie und Struktur, auch der Klassifikation der Eigennamen, ganz besonders aber allen Fragen der Kartierung namenkundlicher Ergebnisse und letztendlich auch der Schaffung von Namenatlanten mit entsprechenden Kommentaren.

Seine in großer Zahl geschaffenen Aufsätze, die sich sowohl gezielt einzelnen Namen wie auch Gruppen von Namen zuwandten, verband er immer wieder mit einer thematischen Klammer und fügte sie in mehreren Sammelbänden zusammen, dort auch mit Registern versehen, die den direkten Zugang zur Bearbeitung des jeweiligen konkreten Namens mühelos ermöglichten. Auch hier hatte W. Wenzel stets den Benutzer seiner Arbeiten im Blick.

Ganz besonders lag ihm die Zukunft namenkundlicher Forschung im ehemals altsorbischen Sprach- und Kontaktgebiet am Herzen. Das unterstrich er immer wieder in seinen Publikationen und auch in Gesprächen, zu denen ich selbst in den letzten Jahren immer wieder Gelegenheit hatte. W. Wenzel war mir während der Arbeiten an meinen Wörterbüchern und Registerbänden ein aufmerksamer Gesprächspartner und kompetenter Ratgeber, der mich bereitwillig an seiner außergewöhnlich profunden Kenntnis des slawischen Namenmaterials und seiner Auswertung teilhaben ließ.

Aus seinen wissenschaftlichen Publikationen bereitete W. Wenzel immer wieder auch Ergebnisse für breite Kreise auf. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang u.a. das Niederlausitzer und das Oberlausitzer Ortsnamenbuch, erschienen im Domowina-Verlag 2006 und 2008. Und auch in der Zeitschrift seines langjährigen Domizils am Mattheuerbogen in Leipzig war er ein willkommener und verlässlicher Autor, stellte Ergebnisse seiner namenkundlichen Forschungen populärwissenschaftlich aufbereitet vor, auch hier in der bewährten In-Bezug-Setzung von namenkundlichen Arbeitsergebnissen zu denen der Siedlungsgeschichte.

Mit W. Wenzel ist ein unermüdlich und zielstrebig arbeitender Namenforscher und Slawist, ein tüchtiger Hochschullehrer und angesehener Kollege, ein ganz besonderer Mensch aus unserem Kreis gegangen. Intensive wissenschaftliche Arbeit, vielfältige fachliche Kontakte, seine Familie und Freunde und auch seine zahlreichen sportlichen Aktivitäten beflügelten diesen lebensbejahenden Menschen.

W. Wenzel hat viele Spuren hinterlassen, ganz besonders in der deutsch-slawischen und slawistischen Namenforschung. Seine Publikationen werden wir immer wieder zur Hand nehmen, um aus ihnen zu lernen, und wir werden uns gern an die Begegnungen mit dem großen Namenforscher und tüchtigen Slawisten erinnern, der dazu ein großartiger und ausgesprochen humorvoller Mensch war.


[1] Wir bedanken uns beim baar-Verlag für die Möglichkeit, das Foto in: Silvio Brendler, Karlheinz Hengst (Hrsg.), Walter Wenzel. Slawen, Deutsche, Namen. […], S. 6 hier übernehmen zu dürfen. – Ein Nachruf auf Walter Wenzel ist ebenfalls in der polnischen namenkundlichen Zeitschrift „Onomastica“ im Druck.

[2] Vgl. u.a. die Würdigung zum 80. Geburtstag durch Karlheinz Hengst unter dem Titel „Walter Wenzel – ein Leben für die historische Sprachforschung“. In: Silvio Brendler, Karlheinz Hengst (Hrsg.), Walter Wenzel. Slawen, Deutsche, Namen. Beiträge zur westslawischen Personen- und Ortsnamenforschung. Mit besonderer Berücksichtigung des Sorbischen. Hamburg 2009, S. 7–12, ebd. S. 17–29 auch ein Verzeichnis der von 1958 – 2008 erschienen namenkundlichen Schriften Walter Wenzels. Zu vergleichen sind weiterhin: das Schriftenverzeichnis Walter Wenzels, in: Studia Onomastica (= NI. Beiheft 18), S. 68–80, das auch seine Arbeiten zur Russistik und zur Methodik des Russischunterrichts an Hochschulen enthält; die Würdigung von Ernst Eichler zu Walter Wenzels 60. Geburtstag. In: NI 55 (1989), S. 41–42; die Würdigung zum 80. Geburtstag. In: Zunamen: Zeitschrift für Namenforschung 2009 (4) H. 1, S. 95–96 sowie die Zusammenstellung namenkundlicher Arbeiten Walter Wenzels (1979–1989) von Lutz Jacob als Fortsetzung der Bibliographie aus NI 35 (1979), S. 29–30. In: NI 55 (1989), S. 42–45.