Volkmar Hellfritzsch, Zur Integration sorbischer Personennamen ins Deutsche (Kleine Reihe des Sorbischen Instituts/Mały rjad Serbskeho instituta 24). Bautzen/Budyšin: Sorbisches Institut/Serbski institut 2016, 103 S. – ISBN: 978-3-9816961-3-4, Preis: 2,50 (DE), EUR 2,60 (AT).
Beginnend mit „dem in Fredegars Chronik bereits a. 631/32 genannten Deruanus dux gentis Surbiorum“ gehören „Personennamen […] zu den ältesten schriftlich überkommenen Zeugnissen des Altsorbischen“ (S. 5) und verdienen daher besondere Beachtung, die ihnen dieses Büchlein auf vielfältige Weise zuteil werden lässt. „Walter Wenzel, dem hervorragenden Kenner der sorbischen Anthroponymie, in Dankbarkeit gewidmet“ (S. 4), behandelt es nach einer sehr aufschlussreichen Einleitung die Eindeutschung sorbischer Personennamen auf der „phonematisch-graphematischen“, der „morphematischen“ und der „lexikalisch-semantischen“ Ebene.
Die Darstellung der „Integration auf der phonematisch-graphematischen Ebene“ (S. 8 ff.) ist so organisiert, dass als Überschrift etwa (S. 9) „§ 1 /a/ [Absatz] <a, o; ai, ay>“ steht, worin /a/, wie der Leser leider selber erschließen muss, ein sorbisches Phonem ist und „a, o; ai, ay“ seine deutschen schriftlichen Wiedergaben sind. Letztere werden einzeln mit Beispielen illustriert und kommentiert; im gegebenen Fall u. a. so: „Seit dem 15. Jh. intern erscheinendes <o> wird auf mdal. Hebung und Dehnung zurückzuführen sein“. Ob es sich bei dieser Hebung und Dehnung um einen sorbischen oder um ein deutschen mundartlichen Lautwandel handelt, erfährt man leider nicht. Auch ob (S. 10) die Senkung /i/ > /e/ und ob die Rundung zu <ö> sorbische oder deutsche Lautwandel sind, wird nicht mitgeteilt. Ebenso mit der Frage, ob die deutschen Schreibungen unmittelbar für sorbische Lautungen stehen (sollen) oder nur mittelbar insofern, als zwischen Eindeutschung und schriftlicher Wiedergabe deutsche Lautgeschichte stattgefunden hat, sodass die deutschen Schreibungen genau genommen deutsche Lautungen wiedergeben, die sich freilich durch Lautgesetze und Substitutionen aus sorbischen Lautungen entwickelt haben, wird man mehr oder weniger allein gelassen. Das hätte in den Darstellungen der einzelnen „phonematisch-graphematischen“ Integrationen herausgearbeitet werden können. Der Wandel /ł/ > [ṷ] (S. 19) mutet sorbisch an, und der bibliographische Hinweis auf Schaarschmidt lässt zusätzlich vermuten, dass es ein sorbischer Wandel ist, gesagt wird es aber nicht. Dass (S. 10) mit dem (Sekundär-)Umlaut /a/ > /e/ hingegen ein deutscher Lautwandel gemeint sein wird, suggeriert nur dieser bekannte Terminus, gesagt wird es nicht. Hier hat etwa (S. 10) zwischen sorbisch Larik und deutsch Läricke (1670) also wohl deutscher Lautwandel stattgefunden, sodass <ä> in diesem Fall keine Wiedergabe von sorbisch /a/, sondern von dt. /e/ ist, das freilich lautgeschichtlich auf deutsches /a/ zurückgeht, das eben auch in eingedeutschen sorbischen Namen vorkam. Was noch möglich wäre, ist, dass dt. /e/ eine Substitution von sorb. /a/ darstellt, zu der es nachträglich in einer Anpassung an die durch den Umlaut entstandene deutsche Phonotaktik gekommen ist. Und zu guter Letzt ist auch nicht auszuschließen, dass der eine oder andere sorbische Dialekt den deutschen Sekundärumlaut als sprachgrenzenüberschreitende Erscheinung mitvollzogen hat. Von all dem ist keine Rede, obwohl sich der Autor dessen bewusst ist, „dass sich beide Sprachen und damit ihre phonologischen Systeme während des jahrhundertelangen Sprachkontakts in Entwicklung befinden“ (S. 5).
Der „Integration auf der morphematischen Ebene“ (S. 50–51) sind nur zwei Seiten gewidmet. Da findet man unter anderem von Walter Wenzel übernommene Beispiele für Suffixe, „die ursprünglich weder im Sorbischen noch im Deutschen vorhanden waren, sondern sich erst im Sprachkontakt […] unter dem Einfluss des Deutschen auf der Grundlage sorb. Derivationsmittel herausbildeten“, wie -ach aus -ak, -au/-aw aus -a usw., aber auch Fälle, in denen sorbische „Suffixe“ durch ähnliche deutsche ersetzt worden sind wie sorb. -mer (ist eigentlich ein Lexem, kein Suffix) durch dt. -mar (1170 Guzmarus < sorb. Gosmer < Gostimer). Letzterer Ersatz war übrigens zumindest seit der Karolingerzeit und entlang der gesamten deutsch-slavischen Grenze gang und gäbe, vgl. z. B. in der Conversio Bagoariorum et Carantanorum: a Moimaro duce Maravorum (*Mojьmirъ) und Ztoimar (*Stojimirъ, ein karantanischer comes, s. Otto Kronsteiner, Die alpenslawischen Personennamen = Österreichische Namenforschung Sonderreihe 2, Wien 1975: 67). Als zweiter solcher Fall lässt sich der Ersatz von slavisch *‑pъlkъ durch dt. ‑bald (wie in Willibald) in *Svętipъlkъ vergleichen, wie er zum Beispiel in österreichischen Belegen des Namens Zuuentibald neben Zuentipolcho auftritt (s. op. cit. 69 und 180).
Im Kapitel über die „Integration auf der lexikalisch-semantischen Ebene“ (S. 52–55) geht es um Übersetzungen und Rückübersetzungen, um „Doppelnamen der Art Martin Nowak-Neumann […], Heinz Schuster-Šewc“ usw., um die „Wirkung scheinbarer sekundärer semantischer Verankerung“ (mit Hinweis auf Karlheinz Hengst) wie in 1649 Bißkopf aus obersorbisch biskop ‘Bischof’ oder 1602 Kuhschwanz aus Kušawańc (also um Volksetymologien, wie die Erscheinung herkömmlich genannt wird) u. dgl.
Dann folgen das Literaturverzeichnis, Internetadressen, Quellenverzeichnis, Abkürzungs- und Zeichenverzeichnis, ein „Verzeichnis der in den sorbischen Personennamen enthaltenen Appellative“ (bedauerlicherweise ohne Verweise auf die Seiten, auf denen die betreffenden Personennamen behandelt werden), ein Personennamenregister und verschiedene Tabellen mit schwer zu interpretierenden Prozentangaben (die weder in der Horizontalen noch in der Vertikalen addiert 100% ergeben).
Unklar bleibt, ob bzw. wie systematisch die von Personennamen abgeleiteten Ortsnamen mitberücksichtigt worden sind, was ja sinnvoll wäre, weil vielleicht der eine oder andere Personenname ausschließlich in solchen Ableitungen belegt ist. Auf Seite 31 etwa liest man „1661 Coschebus (Chośebuz: ON Cottbus) We4, 176“, erfährt aber nicht, ob da Coschebus ein Personenname ist oder aber der bekannte Ortsname, der den ihm zugrunde liegenden Personennamen dokumentieren soll. Als nicht speziell sorabistisch bewanderter sprachhistorisch vergleichender Slavist und Namenkundler wäre man geneigt, in Coschebus ein j-Possessivum von *Chotěbud und daher das Toponym zu sehen, zweifelt aber auch daran, weil es die Vorsicht verbietet, das zwischen den Klammern stehende „ON“ ohne weiteres auch auf das zu beziehen, was außerhalb der Klammern steht. Bestärkt in diesem Zweifel wird man dann auf Seite 32, wo man liest: „1651 Anna […] Cossebuse (Chośebuz: ON Cottbus) We4, 176“ – also anscheinend ein Familienname. Was aber ist dann der genaue Bezug zum „ON Cottbus“? Ist der Familienname vom Ortsnamen abgeleitet? So ganz ohne Suffix? Sind solche Familiennamen in diesem Gebiet (anders als zum Beispiel in Österreich) üblich? Schade, dass man über all das, und zwar letztlich auch noch vergeblich, grübeln und hin und her überlegen muss, statt es einfach kurz, aber klar gesagt zu bekommen.
Darüber hinaus hätten im Lichte toponomastischer Vergleichsstücke vielleicht manche eindeutschungsphonologische Unklarheiten einer Klärung nähergebracht werden können. Die Integration von Personennamen ins Deutsche erfolgt ja nicht grundsätzlich verschieden von der Integration von Ortsnamen. Wenn es auf Seite 9 heißt: „Die im Omd. zur Bezeichnung der Dehnung (in geschlossener Silbe) nur selten vorkommenden Graphe i bzw. y dürften in einigen <ai>- bzw. <ay>-Digraphen vorliegen“, so hätte in einem Blick über den anthroponomastischen Horizont hinaus wenigstens festgestellt werden können, ob es das auch in Ortsnamen gibt und wie selten das insgesamt ist.
Obwohl das Buch so sparsam formuliert, dass sich bei der Lektüre immer wieder unnötig große Interpretationsspielräume auftun, die den Informationsgehalt empfindlich schmälern, stellt es aufgrund seines Materialreichtums eine Fundgrube dar, aus der sich vieles herausstöbern lässt. Zudem lassen sich wegen der konsequent einheitlichen Darstellungsweise sehr schnell die Verbindungslinien zwischen sorbischer Phonologie und deutscher Graphie herausfinden, bei aller Unklarheit, die über die dazwischen liegenden Schritte herrscht. Somit ist das Buch sowohl germanistischer- als auch slavistischerseits sehr willkommen zu heißen.
Empfohlene Zitierweise
Georg Holzer: [Rezension zu] Volkmar Hellfritzsch, Integration sorbischer Personennamen, Bautzen 2016, in: Onomastikblog [21.11.2017], URL: www.onomastikblog.de/artikel/ni-rezensionen/rez-integration-sorbischer-personennamen/
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