Die Antwort des Laien auf die im Titel formulierte Frage dürfte lauten: Sie kamen aus dem Osten. Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit. In der Tat ließen sich im Osten des Territoriums des späteren Landes Sachsen, der Oberlausitz, Ansiedler aus dem Oderraum nieder, die sich dann zu den Stämmen der Milzane und Besunzane zusammenschlossen. Wie Karte 1* zeigt, besiedelten die Räume zwischen dem Elbtal im Osten und der Saale im Westen, aus denen die früher hier lebenden Germanen fast vollständig abgezogen waren, Slawen, die die Elbe abwärts aus Böhmen kamen. Diese Erkenntnis verdanken wir vor allem den Archäologen und den Namenforschern, denn die historischen Quellen liefern nur wenig Informationen über die Slawen aus der Zeit vor der deutschen Eroberung. Bei der Untersuchung slawischer Bodenfunde stieß man bereits Ende der vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts in der Nähe von Prag auf eine altertümliche einfache Keramik, die man später als Prager Typ bezeichnete. Deutsche Archäologen fanden bei ihren Ausgrabungen nördlich des Erzgebirges denselben Keramiktyp vor und schlussfolgerten, dass die Slawen des Mittelelbegebietes aus dem Süden, aus Böhmen eingewandert waren. Diese Annahme bestätigten die besonders nach dem zweiten Weltkrieg intensiv betriebenen Forschungen der nachfolgenden Jahrzehnte. Man verband dabei die Keramik vom „Prager Typ“ mit dem Hügelgrab und der Brandbestattung sowie dem Bau von eingetieften Grubenhäusern mit Ofen oder Herd. Auf diese Weise gelang es, einen archäologisch-kulturellen Komplex zu bestimmen, der auf Grund gleicher Befunde das Mittelelbegebiet bis zur Saale und bis weit nach dem Norden über Magdeburg hinaus mit Böhmen, Mähren, der Slowakei und Ungarn in einen ursächlichen Zusammenhang brachte. Daraus ergab sich die Schlussfolgerung, dass die slawische Landnahme die Elbe abwärts vom Süden her bis in den Bereich der mittleren Havel erfolgte.
Noch detaillierter und nicht weniger überzeugend konnten die Namenforscher die Landnahme der Slawen aus dem Süden nachweisen. Bahnbrechende Erkenntnisse verdanken wir vor allem Ernst Eichler. Es waren bestimmte Ortsnamentypen und unter ihnen sehr selten vorkommende Namen, die für eine enge Beziehung einer Anzahl altsorbischer Namen mit Nord- und Mittelböhmen, vor allem dem oberen Elbtal sowie der unteren Moldau und ihren Zuflüssen zeugten. Diese in Bezug auf Herkunft, Bildung und Bedeutung mit ihren frühen alttschechischen, genauer späturslawischen Entsprechungen genau übereinstimmenden Ortsnamen konnten nur von den ersten Einwanderern aus Böhmen mitgebracht oder nach dem Muster der dortigen Namen gebildet worden sein. Derartige Namen ließen sich nicht nur im Elbe-Saale-Raum nachweisen, sondern auch weiter im Norden, im später altpolabischen Sprachgebiet. An der Spitze dieser Namengruppe stehen die Bewohnernamen vom Typ Kosobudy/Žornosěky. Es handelt sich der Bedeutung nach um Spott- und Necknamen sowie um Berufsnamen oder Berufsübernamen, der Bildung nach um im Plural stehende Zusammensetzungen aus zwei bedeutungstragenden Bestandteilen. Darüber hinaus liefert ein weiterer archaischer Namentyp wichtige Indizien für die Herkunft der Einwanderer, die patronymischen Ortsnamen mit den Suffixen -ici und -ovici. Unter diesen sehr häufigen Namen, die nur in den ältesten Siedlungsarealen vorkommen, sind es aber nur vereinzelte Namen, die für die erforderliche Beweisführung in Frage kommen. Das Gleiche gilt für eine Reihe von Vertretern anderer Namentypen, oft Unikate.
Die Aufgabe dieser kurzen Studie besteht darin, weitere derartige, bislang übersehene Fälle beizubringen, um das bisherige Bild zu ergänzen. Das Verfahren verlangt eine Vorbemerkung: Die Annahme einer altsorb.-alttschech. Namengleichung setzt voraus, dass entsprechende Namen nicht in anderen slawischen Sprach- und Namenräumen vorkommen. Das läßt sich beim gegenwärtigen Stand der Forschung nicht ausschließen. Voraussetzung wäre ein westslawischer, besser gesamtslawischer Ortsnamenatlas, dem komplette historisch-etymologische Ortsnamenlexika zu Grunde liegen. Das ist zur Zeit nicht gegeben und bleibt vorerst eine Zukunftsvision. Alle im Nachfolgenden getroffenen Feststellungen sind deshalb mit Vorbehalt hinzunehmen.