1. Ein „Dauerbrenner“ in der Diskussion um Vornamen und deren Internationalisierung ist (oder sollte sein) die Frage ihrer korrekten Aussprache. Hier gibt es keine allgemeine Regel: die Namen werden entweder in der fremden Lautung übernommen oder „eingedeutscht“. Im ersten Fall kann die richtige Aussprache befremdlich oder gewollt „anders“ klingen, im zweiten gibt es für den Sprachpuristen oft barbarische Namenklänge. Diese werden dann oft auch orthographisch umgesetzt (Schorsch, Maik, Madlen, Schaklin aber Jean, But usw.). Das Thema ist bekannt, und die zahllosen Beispiele „falscher“ Aussprache oder Betonung (Natália > franz. Natalíe > engl.dt. Nátalie) sprechen für sich. Die zentrale Frage lautet: Ist sich der Namengeber und Namensprecher dieser oft bizarren Situation bewusst? Oder ist ihm der Name, was Herkunft und Aussprache betrifft, gleichgültig? Die Antwort ist nicht immer eindeutig, da Namen sowohl korrekt (nach Originalklang) als auch auf deutsche Weise (d.h. nach dem Schriftbild) ausgesprochen werden. Natürlich lässt sich diese Thematik auch auf den Alltagswortschatz übertragen.
Ein „fremder“ Name wie italienisch Guido (zu sprechen /'gṷi:do/) ist, aus welchem Grund auch immer, in der Aussprache, nicht Schreibung, als /'gi:do/ eingedeutscht worden; im Italienischen müsste der Name dann *Ghido geschrieben werden. Etymologisch entspricht er dem dt. Wido oder französisch Guy (/gi/); die Etymologie ist diskutiert, wahrscheinlich geht die Namenfamilie auf germ. *wīd- "weit" zurück. Der in den romanischen Sprachen unbekannte etymologische germanische Laut w- wurde in aller Regel (Ausnahme der äußerste Norden Frankreichs: Vuillaume) ersetzt durch einen ähnlich artikulierten Laut, im Französischen und Spanischen durch /g/ (Graphie Gu- vor hellen Vokalen): Guillaume, Guillermo (dt. Wilhelm), im Italienischen durch gu- (Aussprache immer /gṷ/): Guarniero (dt. Werner) usw. Im Laufe der Zeit bilden sich clichéhafte Aussprachemuster fremder Sprachen heraus („typisch für das Italienische“ ist /dʒ/ usw.), die dann spontan angewandt werden, auch wenn es im konkreten Fall falsch sein kann. Auf ein derartiges Beispiel (Ric(c)ardo vs. Ricciardo) wurde bereits im Blog vom 29.7.2014 hingewiesen. Hier ist es nützlich, das gerade in 5., vollständig überarbeiteter Auflage erschienene Werk von Rosa und Volker Kohlheim, Duden. Das große Vornamenlexikon, heranzuziehen, das die möglichen Aussprachen angibt (etwa span. Manuél gegenüber eingedeutschtem Mánuel oder Gillian m. /'giliən/ gegenüber Gillian f. /'dʒiliən/) [Vgl. zu diesem zuverlässigsten Vornamenbuch die Besprechung von V. Hellfritzsch demnächst in diesem Blog.]
2. Im Folgenden stelle ich pauschal einige Probleme von Graphie/Aussprache fremder Namen, hier konkret der romanischen (d.h. aus dem Lateinischen entstandenen) Sprachen zusammen: Französisch, Spanisch, Italienisch, gelegentlich auch Portugiesisch und Katalanisch. Zu unterscheiden ist zwischen Schreibung und Aussprache und der Wortbetonung.
Nützlich ist in manchen Fällen gewiss die Kenntnis einiger weniger lateinisch-romanischer "Lautgesetze". Bei den Vokalen ist die wichtigste Neuerung der Übergang von der Vokallänge (Dauer der Aussprache oder Quantität: kurz oder lang) zur Vokalqualität (Öffnungsgrad des Mundes: offen und geschlossen). Dabei fallen ĭ und ē in einem geschlossen /e/, ŭ und ō in einem geschlossen /o/ zusammen, a behält einen neutralen Lautwert. Aus den "klassischen" zehn Vokalen (ā/ă, ē/ĕ, ī/ĭ, ō/ŏ, ū/ŭ) entstehen sieben "vulgärlateinische" Vokale Diese Vokale sind Ausgangspunkt für die (hauptsächlich westromanischen) Sprachen und erfahren hier weitere Veränderungen. Diese Entwicklung ist abhängig von der sprachlichen Umgebung (offene/geschlossene Silbe usw.) und soll hier nicht weiter ausgeführt werden. Markante Ergebnisse sind etwa offenes e > franz., ital. und span. ie /ié/ (decem > dieci, diez, pes, pedis > pied, piede, pie) und offenes o > ital. uo /uó/ (focus > fuoco), span. ue /ué/ (fuego), franz. eu /ö/ (feu) und geschlossenes e > franz. oi /oá/ (oder ai): (pĭscis > poisson, francĭscus > François, français) sowie geschlossenes u > franz. /ü/. Bei den Konsonanten sind vor allem Palatalisierungs- und Nasalierungserscheinungen wichtig. So etwa klassisches c /k/ vor hellen Vokalen (cicer, centum) zu franz. und port. /ss/, ital. /tʃ/ und span. /Θ/. Nasale sind vor allem für das Portugiesische charakteristisch (zu jeden Vokal gibt es den entsprechenden Nasal) und in Restbeständen im Französischen. Dieser Wandel lässt sich in älteren und jüngeren deutschen Lehnwörtern aus dem Lateinischen gut erkennen: Kaiser (aber romanisch Cesare) < caesar, Keller (cellier) < cellarium aber Speicher (espigueiro) < spīcarium gegenüber jüngerem Pfeffer (pepe, poivre) < pǐper oder Mauer (mūrus), Wein (vīnum), Münze (monēta, mit Akzentverschiebung und Umlaut). Usw.usf.
3. Bei der korrekten Aussprache romanischer Namen sind insbesondere folgende Grapheme zu beachten:
Konsonanten:
c+a,o,u immer wie /k/.
ç immer wie /ss-/ (port. Gonçalo, Gonçalves, franz. Garçon) [entspricht im Span. -z- /Θ/ (Gonzalo, González; Garzón)]
c+e,i: (a) im Franz. Katal. und Port. /ss/ (Cécile; Barcelona; Cebola), (b) im Italienischen /tʃ/ (Celentano, Cicerone), (c) im Span. /Θ/ (Cervantes, Cid)
ch: (a) im Franz. und Port. /ʃ/ (Charles, Richard; Chaveiro, Gancho), (b) im Ital. Graphie für /k/ vor hellen Vokalen (Cherubini, Chirico), (c) im Span. /tʃ/ (Chacón, Chinchilla)
g+a,o,(u) immer wie /g/
g+e,i (a) im Franz. , Katal. und Port. /ʒ/ (Gérard, Gilbert; Germà, Girona; Gil, Edwiges), (b) im Ital. /dʒ/ (Gerardo, Giovanni, Giotto), (c) im Span. /χ/ (Gerona [Exonym], Gibraltar)
gh italienische Graphie für /g/ vor hellen Vokalen (Gherardo, Respighi)
gl+e,i im Ital. /lj/ (Guglielmo, Scardigli)
gn ital. /nj/ (Bagno, Agnelli)
gu+Vokal im Ital. /gṷ/ (Guido, Guerra)
j+a,o,u (a) im Franz. und Port. /ʒ/ [wie g+e,i] (Jacqueline; João), (b) span. /χ/ (Juan),
j+e,i span. /χ/ (Jesús, Quijote) lh im Port. immer /lj/ (Guilhermo, Velho)
ll (a) im Span. immer /lj/ (Llanes, Castilla), (b) im Ital. langer Konsonant /l·l/ (Bello, Antonelli), (c) im Franz. /l/ (Bellot), nach i- /j/ (Camille)
mm nur Ital., langer Konsinant /m·m/ (Gemma) nn nur Ital., langer Konsonant /n·n/ (Benno)
pp nur Ital., langer Konsonat /p·p/ (Giuseppe)
s im Anlaut in allen romanischen Sprachen immer scharfes /ss/ (Silvio, Simone) ss in allen Sprachen "scharfes s", im Ital. lang gesprochen /s·s/ (Verissimo)
tt nur Ital., langer Konsonant /t·t/ (Bellotto)
u (a) immer /u/, mit Ausnahme (b) des Französischen, hier immer /ü/ (Butor, Bureau)
z (a) im Span. immer /Θ/ (Zaragoza, Zamora), (b) im Franz. und Port. immer stimmhaftes s (Geuze; Zanzibar), (c) im Ital. /ts/ (Zingaro)
zz nur Ital, langer Konsonant /t·ts/ (tazza, pizza)
Vokale
ao nur Ital. /áo/, Betonung auf dem a! (Paola) au (a) immer /áu/ (causa), mit Ausnahme (b) des Französischen, hier immer /o/ (cause, Château)
eau nur Franz. /o/ (Beau, Bureau)
eu (a) selten, als /éu/ zu sprechen, (b) im Franz. /ö/ (Bonheur, Eure)
oi (a) selten, als /ói/ zu sprechen, (b) im Franz. immer /oá/ (Boiteux, Leroy)
ou (a) im Franz. immer /u/ (Amour), (b) im Port. /óu/ (Bouça, Outeiro)
Nasale
Gilt nur für das Franz. und Port. Im Franz. ist die Zahl der Nasale zurückgehend, praktisch nur /ã/ (Sedan, Parlement), /õ/ (Montaigne, Chambon) und nasaliertes /ԑ/ (Martin, Verdun). Im Port. wird praktisch jeder Vokal nasaliert: /ã/ (Quintã), /ĩ/ (Martim) /õ/ (Londres), /ũ/ (um, junto). Besonders charakteristisch sind nasalierte Diphthonge, insbesondere /ão/ (Fundão), /ãi/ (Guimarães) und /õi/ / (limões).
Betonung/Akzente
In den romanischen Sprachen wird in aller Regel immer die vorletzte Silbe betont, Ausnahmen werden markiert. Im Franz. verhält es sich historisch genau so, doch sind die der Tonsilbe folgenden Silben durch starke Betonung weggefallen: lat. amicus > ital. amico, span. und port. amigo, aber franz. ami (auch katal. amic), weshalb im Franz. eine Endbetonung empfunden wird. Akzente haben in den einzelnen romanischen Sprachen eine Funktion, entweder Betonung oder Klang. Während im Ital. bis auf ungewöhnliche Endbetonung in der Regel keine Akzente gesetzt werden (unità, Forlì), sind folgende Regeln zu beachten: Im Span. wird ausschließlich der Akut gebraucht zur Markierung einer nicht "normalen" Betonung auf der vorletzten Silbe (Marqués). Das betrifft insbesondere die patronymischen Formen (Márquez [< Marco], Velázquez, Martínez), da auf -z endende Wörter normalerweise betont werden (Aranjuez), daher auch etwa Cádiz. Die port. Entsprechung bei den Patronymen ist (unbetontes) -es, weshalb hier kein Akzent gesetzt wird (Marques, Rodrigues). Im Port. steht zusätzlich im nasalen Kontext der Zirkumflex (Lusitânia). Im Franz. markieren Akzente die Aussprache. Der Akut (é) das geschlossene /e:/ (Bérénice, Véronique, Émile), der Gravis (è) das offene /ε:/ (Père, Isère). Historisch gehen mit Zirkumflex markierte Vokale meist auf den Wegfall des s vor Konsonant zurück, wie â (château < castellum), ê (fête < festa), î (Nîmes < Nemausus) usw., die differenzierte Aussprache (dumpf, gedehnt) spielt heute allerdings kaum noch eine Rolle. Das Graphem [ï] markiert die Aussprache des i (Haïti).
Konkrete Beispiele für "problematische" Namen folgen in einem späteren Blogeintrag.