Von Jürgen Udolph
Eine überzeugende Deutung eines geographischen Namens kann nur dann gelingen, wenn umfangreiche Vorarbeiten erfolgt sind. Zum einen ist es notwendig, eine sorgfältige Sammlung der historischen Überlieferung des Namens vorzunehmen, wobei man natürlich auf zuverlässige Editionen der Texte angewiesen ist. Zum zweiten ist es unerlässlich, nach ähnlichen Namen, nach Vergleichsnamen und nach Namenparallelen zu suchen, sei es für das Grundwort oder die Ableitungsgrundlage – beides ist von großem Nutzen. Im Grunde gilt dafür ein altes Wort der Onomastik auch noch heute: Erst sammeln, dann deuten. W. Eilers (1982: 49) hat das wie folgt ausgedrückt: „Erst sammeln und klassifizieren, dann sprachlich-geschichtlich analysieren! Alle Erfolge, alle Einsichten, die ich auf dem Gebiete der Namenforschung zu verzeichnen habe, sind auf diese Weise gewonnen worden“. Hat man genügend Material für einen Ortsnamen und seine möglichen Parallelen gesammelt, so empfiehlt sich noch ein dritter Weg: die Kartierung des Namens und seiner Parallelen, worunter z.B. Kartierungen des Grundwortes, der Bestimmungswörter und der Namenbildungselemente zu verstehen sind. Th. Frings (1957: 9) hat das mit deutlichen Worten unterstrichen: „Den Karten messen wir besondere Bedeutung zu. Ihre plastische Art vermag mehr zu sagen als das Gerede vieler Seiten“. Um diesen Bedingungen – vor allem der letzten – gerecht zu werden, ist lange Sammelarbeit über Jahre und Jahrzehnte hinweg notwendig. Das betrifft alle großen onomastischen Unternehmungen, so z.B. auch die große Sammlung der polnischen Ortsnamen in Kraków (NMPol) oder der altpolnischen Personennamen (SSNO). Zu welchen interessanten Ergebnissen die Sammlung und Kartierung slavischer Orts- und Gewässernamen führen können, hat vor Jahrzehnten J. Zaimov anhand einer Verbreitungskarte südslavischer Stämme zeigen können (Karte 1).
Diese Karte von J. Zaimov zeigt allerdings nur die Zuwanderung slavischer Stämme im Osten des Balkans, der Westen ist hier nicht erfasst worden. Diese Lücke kann durch weitere Sammlungen und Kartierungen anderer slavischer geographischer Namen aber geschlossen werden. Ich werde darauf noch zu sprechen kommen.
Hauptzweck meines Beitrages ist es, auf eine sehr umfangreiche Sammlung von geographischen Namen hinzuweisen, die seit einigen Monaten im Internet frei verfügbar ist. Sie entstand im Verlauf der letzten 50 Jahre. Da zu Beginn der Sammlung (1970) weder Internet, noch EDV oder Computer zur Verfügung standen, wurde die Sammlung nach der nur damals möglichen Methode angelegt: auf Papier. Eine andere Möglichkeit gab es nicht. Das entsprach damals dem wissenschaftlichen Standard und wurde zum Beispiel bei dem Versuch, einen „Neuen Förstemann“ in Freiburg zu erstellen, angewandt, aber auch für die Sammlung des NMPol in Kraków. Der Autor dieses Beitrages hatte vor einigen Jahren die Möglichkeit, diese Sammlung zu sehen und für einige Recherchen zu nutzen. Die jetzt neue vorgelegte Sammlung, um die es in diesem Betrag geht, ist nun im Internet frei zugänglich. Sie steht auf der Internetseite: https://adw-verwaltung.uni-goettingen.de/ortsnamen/images_lightbox.php. Ich gebe im Folgenden eine kurze Beschreibung der Datei und Hinweise zur Benutzung.
Zur Entstehung der Datei
Die Sammlung enthält eine große Menge von geographischen Namen, geschätzt ca. 450.000. Sie war zunächst nur für den slavischen Raum (jetziges und ehemaliges Siedlungsgebiet slavischer Stämme) angelegt. Im Laufe der Zeit wurden dann auch Namen aus angrenzenden Regionen aufgenommen, vor allen Dingen deshalb, weil es sich im Verlauf der Arbeit herausstellte, dass das slavische Siedlungsgebiet Namen enthält, deren Bearbeitung und sinnvolle Deutung nur unter Einbeziehung auch außerslavischer Toponyme und Hydronymie möglich ist. Die Sammlung ist in erster Linie eine Verweisdatei. Anfangs ist versucht worden, auch Deutungen und Anmerkungen zu den einzelnen Namen hinzuzufügen, aber die Fülle des Materials – das slavische Siedlungsgebiet reicht von der Elbe bis zur Kamtschatka und von der Ostsee bis nach Griechenland – erlaubte schon bald diese Ausweitung nicht. In gewissem Sinn kann die Sammlung mit dem von R. Schützeichel herausgegebenen und von seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bearbeiteten Register der Beiträge zur Namenforschung, Band 1-16, Heidelberg 1969, verglichen werden, ein Register, dass man auch heute noch mit Gewinn nutzen kann.